Bildverarbeitung

Ein glatterer Kiesel...

Cognexs Bill Silver über die zukünftigen Entwicklungen in der Bildverarbeitung

24.09.2010 -

Einer der herausragenden Visionäre unserer Branche ist sicherlich der Cognex Mitgründer und Senior Vice President Bill Silver. Es ist uns gelungen, ihn für kurze Zeit sowohl vom Programmieren (immer noch eine tägliche Beschäftigung) als auch von ­Ultimate Frisbee (eine ebenfalls tägliche Beschäftigung) weg zu locken und ihm ein paar Fragen zu den zukünftigen ­Entwicklungen und Herausforderungen in der Bildverarbeitung zu stellen.

INSPECT: Herr Silver, was würden Sie als die wichtigste Entwicklung im Bereich Bildverarbeitungs-Software in den letzten 10 Jahren bezeichnen?
B. Silver: Die Branche der industriellen Bildverarbeitung scheint weit über das Stadium hinaus zu sein, in dem man eine Softwareentwicklung als die wichtigste Entwicklung eines Jahrzehnts bezeichnen könnte. In den 1980ern konnte man auf Cognex Search (die normalisierte Korrelation) oder die Benutzeroberfläche von Itran verweisen und in den 90er Jahren auf PatMax. In den letzten 10 Jahren ist die Sache jedoch nicht ganz so klar. Dies zeigt sowohl, dass die industrielle Bildverarbeitung mittlerweile sehr ausgereift ist, aber auch die breite Vielfalt der industriellen Anwendungen.

Also gut: was wird denn in den nächsten 10 Jahren die wichtigste Entwicklung im Bereich Bildverarbeitungs-Software sein?
B. Silver: Hoffentlich das, woran ich derzeit arbeite... Ich hoffe, dass sich meine Einschätzung, die industrielle Bildverarbeitung sei über das Stadium hinaus, in dem sich eine einzelne Neuentwicklung als „die wichtigste Entwicklung" von den anderen abhebt, als falsch erweist. Ich hoffe auch, dass das einige ehrgeizige junge Leute erkennen, auch wenn sie sich gegen einige ebenfalls noch recht ehrgeizige Leute mittleren Alters durchsetzen müssten. Halten Sie Ausschau nach Entwicklungen in den folgenden Bereichen:
Bildanalyse: Uns ist es hervorragend gelungen, alle möglichen Informationen aus einem einzelnen Bild herauszuquetschen, und ich bin schon seit langem der Überzeugung, dass wir für jede weitere Verbesserung mehr Umgebungs-Informationen benötigen, die sich beispielsweise mithilfe von 3D oder Bewegung erzeugen lassen. Ich bin persönlich sehr am Thema Bewegung interessiert: es werden viele Informationen über das Objekt erzeugt, man benötigt keine ausgefallene Hardware und kaum jemand sonst in der Branche scheint sich ernsthaft damit zu beschäftigen.
ID: Im nächsten Jahrzehnt wird die bildbasierte ID größtenteils die Laserscanner ersetzen. Zum Teil wird dies auf den verstärkten Einsatz von 2D-Codes und den Bedarf an Möglichkeiten wie die Speicherung von Bildern mit nicht lesbaren Codes zurückzuführen sein. Damit bildbasierte Systeme die Laser aber auch wirklich ablösen können, müssen sie 1D-Strichcodes mindestens so gut oder sogar noch besser lesen können als der Laser. Das bedeutet Leistungsfähigkeit, Geschwindigkeit, Sichtfeld und Kosten. Bei einigen industriellen Anwendungen ist dies bereits möglich. Für einen breiter angelegten Einsatz ist jedoch bahnbrechende Software erforderlich.
Benutzeroberfläche: Revolutionen im Bereich der Benutzeroberflächen sind selten, aber dafür umso wirkungsvoller. Ich bin nach wie vor davon überzeugt, dass die Benutzeroberfläche von Itran aus dem Jahr 1983 in der dreißigjährigen Geschichte der industriellen Bildverarbeitung die einflussreichste Entwicklung war. Seitdem wurde fleißig weiterentwickelt, aber keine dieser Entwicklungen hatte einen derart weitreichenden Einfluss. Ich weiß nicht, was uns in den kommenden 10 Jahren erwartet, aber das Potenzial für bedeutende Entwicklungen ist da.
Computational Optics: Die Gesetze der Physik setzen der Schärfentiefe und der Objektgeschwindigkeit als Funktion der Beleuchtungsstärke Grenzen. Wenn diese Grenzen überschritten werden, kommt es zu einem Verlust von Informationen im Bereich der höheren räumlichen Frequenz, die für die Mustererkennung, ID usw. unerlässlich sind. Computational Optics erlaubt es uns Informationen aus dem höher frequenten Bereich zu gewinnen indem wir auf einige Informationen in den niedrigeren Frequenzbereichen verzichten, die für uns weniger interessant sind. Dadurch können wir die physikalischen Grenzen ausdehnen. Dafür sind ausgefallene Hardware und auch Software notwendig, und das dürfte im kommenden Jahrzehnt von großer Bedeutung sein.

Welche größeren Herausforderungen im Bereich der industriellen Bildverarbeitung müssen aus Ihrer Sicht noch gelöst werden?
B. Silver:
Newton hätte die industrielle Bildverarbeitung des Jahres 2010 beschreiben können, als er sagte: „Ich war wie ein Knabe, spielend am Strand, der hier und da einen glatteren Kiesel oder eine schönere Muschel als gewöhnlich findet, während der große Ozean der Wahrheit in seiner Unermesslichkeit unerforscht vor mir liegt." Im Gegensatz zu Newton wissen wir recht genau, wie der „große Ozean" aussieht: das ist das menschliche Sehvermögen. Aber wir sind diesem heute genauso wenig nahe wie zu Beginn der Bildverarbeitungsindustrie im Jahre 1980. Ich gehöre zu denjenigen, die daran glauben, dass eine Maschine grundsätzlich alles das kann, was der menschliche Sehapparat kann. In der praktischen Umsetzung können bis dahin aber noch Jahrhunderte vergehen. Tatsächlich lässt sich meiner Meinung nach Kompetenz in der industriellen Bildverarbeitung nicht vom allgemeinen Problem der maschinellen Intelligenz trennen.

Wir beobachten einen Trend, dass Bildverarbeitungs-Software verstärkt in Bildverarbeitungssensoren, 3D-Sensoren, oder Bildverarbeitungsprozessoren integriert und als fester Bestandteil dieser Hardware verkauft wird, statt weiterhin separat oder als Bibliothek. Sehen Sie bei Cognex diesen Trend ebenfalls?
B. Silver: Auch wir sehen diesen Trend. Ich würde jedoch nicht sagen, dass er dem Verkauf von Bildverarbeitung als Bibliothek entgegensteht. Dies ist vielmehr eine Ausdehnung des Marktes und keine Nullsummenverschiebung von einem Produkt zu einem anderen.

Derzeit kommt sehr viel 3D-Funktionalität auf den Markt, wobei viele Anbieter ganz unterschiedliche Tools und Ansätze als „3D" bezeichnen. Wie kann ein Anwender unter den vielen verschiedenen Produkten die richtige Wahl treffen?
B. Silver: Die Anbieter von Bildverarbeitungsprodukten machen sich im Bereich 3D möglicherweise gegenseitig das Leben schwer. Bei 3D-Funktionalität scheint es sich meist eher um Prototypen oder eine Demoversion statt um produktionsreifes Equipment zu handeln. Auf einer Messe macht die Technologie noch einen recht guten Eindruck, aber sie lässt sich ohne benutzerspezifisches Engineering vom Hersteller oft nur schwer oder überhaupt nicht einrichten, kalibrieren, programmieren und einsetzen. Interessierte Kunden, die das ausprobieren, machen häufig schlechte Erfahrungen und nehmen dann künftig von 3D Abstand. Es gibt eine Reihe von 3D-Ansätzen, beginnend von unterschiedlichen Ansätzen in der Bilderfassung und -beleuchtung (eine Kamera, mehrere Kameras, TOF-Kamera, einfache Beleuchtung, Laserlicht, strukturierte Beleuchtung, kodierte Beleuchtung usw.) über Myriaden von Technologien zur Einschätzung/Ableitung der 3D-Struktur aus den Bildinformationen (Triangulation, Stereo, photometrisches Stereo, Struktur aus Bewegung, Form aus Schattierung usw.) bis hin zu zahlreichen Techniken für die Ausrichtung und Inspektion, die die 3D-Informationen als Grundlage nutzen. Für einen Anwender ist es natürlich sehr schwierig, sich für den richtigen Ansatz und den richtigen Anbieter zu entscheiden.
Deshalb mein Rat an alle Anwender: 1) Ziehen Sie zunächst ein 2D-System in Betracht (und kein 3D-System), dessen Funktion Ihnen bereits verständlich ist, insbesondere dann, wenn die Bildverarbeitungsaufgabe den bei 3D anfallenden Zusatzaufwand nicht rechtfertigt. 2) Wenden Sie sich an einen renommierten Anbieter von Bildverarbeitungslösungen, der über Erfahrungen und hinlängliches technisches Know-how verfügt. 3) Begegnen Sie technischen Nutzenversprechungen mit Skepsis. 4) Stellen Sie viele Fragen, und achten Sie auf Antworten, die Sinn machen. 5) Bitten Sie den Anbieter/Integrator, die vorgeschlagene Lösung für Ihr Problem Schritt für Schritt mit Ihnen durchzugehen.

Welche Themen sieht der künftige Strategieplan von Cognex in Sachen Software vor?
B. Silver: Wir möchten unsere technische Führungsrolle im Bereich der Mustererkennung, ID (1D- und 2D-Codes), 3D sowie in anderen, für unsere Kunden interessanten Bereichen festigen und ausbauen. Das ist nicht nur so dahingesagt; vielmehr sind unsere besten Mitarbeiter bereits in diesen Bereichen aktiv.

Vielen Dank, Herr Silver. Das war - wie immer - inspirierend.

Kontakt

Cognex Corporation

One Vision Drive
01760 Natick
MA, Vereinigte Staaten

+1 (508) 650-3000

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