Bildverarbeitung

„Dreiviertel aller Automati­sierungs­kunden haben Potenzial im Bereich Machine Vision“

05.07.2024 - Interview mit Aldin Majanovic, Vision-Experte bei B&R

Vor mittlerweile vier Jahren hat B&R sein eigenes Bildverarbeitungs­portfolio vorgestellt. Der Clou: Die Bildverarbeitung ist direkt in die Anlagen­steuerung integriert. Die inspect hat mit Vision-Experte Aldin Majanovic über das Portfolio an Vision-Systemen des Spezialisten für Automatisierung gesprochen. Dabei geht es auch um Optical Character Recognition (OCR) mit und ohne Deep Learning, um Trends der Bildverarbeitung und mit welchen Neuheiten B&R weiter auftrumpfen will.


inspect: Im Jahr 2020, dem Jahr der Markteinführung, hat das B&R-Bildverarbeitungssystem sogleich einen der begehrten inspect-Awards gewonnen. Was hat sich seither getan im Portfolio?

Aldin Majanovic: Seit der Markteinführung haben wir in erster Linie großen Wert auf die Erweiterung unserer Bildverarbeitungsfunktionen gelegt und deutliche Verbesserungen im Bereich Usability erreicht.

Anwender haben jetzt die Möglichkeit, sowohl den Automatisierungsteil der Anwendung als auch die Bildverarbeitung in einem Tool, dem Automation Studio, zu projektieren. Und das Ganze unabhängig davon, ob eine oder mehrere Personen beteiligt sind. Der große Vorteil besteht darin, dass alle Beteiligten ohne aktiv anzustoßenden Datentransfer bei der Applikationen auf identische Prozessvariablen zugreifen können. Das reduziert die Fehlerquellen immens, ebenso die Performance-Verluste durch unnötige Schnittstellen.

In Sachen Portfolio haben wir mittlerweile ein Level erreicht, der wenige Wünsche in der maschinellen Bildverarbeitung im Automatisierungssektor offen lässt: Nicht nur, dass wir intelligente Beleuchtungen anbieten, die auf die Mikrosekunde genau und mit einer Anstiegszeit von 150 Nanosekunden die schnellsten Blitze am Markt haben. Auch die Skalierbarkeit unserer Kamerasensoren ist unerreicht. Unser Ansatz ist, dass Anwender nicht ihre Maschinenkonstruktion an die Kamera anpassen müssen, sondern die Kamera an ihre Bedürfnisse angepasst werden kann. Nur so können wir eine kosten­optimierte Gesamtlösung mit optimaler Performance bieten.

inspect: B&R wirbt für seine Bildverarbeitungskomponenten auch damit, dass sie sich direkt in die Anlagensteuerung integrieren lassen. Was bedeutet das konkret für den Anwender?

Majanovic: Das bedeutet, dass bei uns alles im Automation Studio läuft und über unseren internen Feldbus Powerlink abgewickelt wird. Dadurch erreichen wir eine Echtzeitkommunikation zwischen der Kamera und der Steuerung.


inspect: Das heißt also, die Daten­verarbeitung geschieht auf der Kamera. Es sind also Smartkameras, korrekt?

Majanovic: Ja, es handelt sich um intelligente Kameras, die es in den beiden Ausprägungen Smart Camera und Smart Sensor gibt. Unsere Sensoren können zwar, wie auf dem Markt üblich, nur eine Funktion ausführen. Diese kann aber jede aus dem umfangreichen Smartkamera-Portfolio sein. Sie können den Sensor oder die Smartkamera sehr flexibel einsetzen, sei es zur Code- oder Schrifterkennung oder zur Positions- oder Orientierungsbestimmung von Objekten.


inspect: Auf welche Anwendungen in welchen Branchen zielt B&R?

Majanovic: Wir zielen nicht auf eine bestimmte Branche ab. Denn bei der Durchsicht unseres Kundenstamms hat sich ergeben, dass der überwiegende Teil unserer Automatisierungskunden Potenzial im Bereich Machine Vision hat.
Dabei muss man aber sagen, dass wir Bildverarbeitung nicht nur für klassische Anwendungen sehen – zum Beispiel Produkt-Tracking oder Qualitätssicherung. Vielmehr wird die Kamera durch die Integration in die Steuerungsumgebung zum synchronen Sensor, der einfach im Vergleich zum herkömmlichen Sensor zusätzliche Daten mit einer Präzision liefert, die – richtig eingesetzt – die Performance einer Maschine deutlich erhöhen kann. Beispielsweise in der Druckmarken­erkennung oder in der Verpackungsindustrie, wo auch bei der maximalen Geschwindigkeit Positionen exakt erfasst, ausgerichtet, mit zusätzlichen mechatronischen Komponenten synchronisiert werden und so der Durchsatz der Anlage erhöht wird. 


inspect: Mit dem Einzug von KI, genauer, Deep Learning, hat die optische Schrifterkennung (OCR) einen großen Sprung gemacht. Löst sie die herkömmliche OCR ab?

Majanovic: Da muss man ganz klar sagen: Die Standard-OCR-Funktionalität hat nach wie vor ihre Berechtigung. Zum einen läuft sie auch auf den einfachsten Vision-Sensoren, und zum anderen ist sie tolerant gegenüber der Schriftposition innerhalb einer Region of Interest. Allerdings auch nur, wenn die verwendete Schrift mit den parametrierten Fonts übereinstimmt. Und da verläuft dann die Grenze zu Deep OCR. Mit deren Einführung haben wir hinsichtlich der Schrift­erkennung nochmal einen sehr großen Schritt nach vorne gemacht.

Auch die Robustheit gegenüber Störfaktoren, wie inhomogene Hintergründe, ist enorm. Ebenso die Erkennungsrate von beliebigen Schriften, die ohne ein vorheriges Training erkannt werden, sind ein großer Mehrwert für die Anwender.


inspect: Wo sehen Sie bezüglich OCR noch Verbesserungspotenzial? 

Majanovic: Ein nächster Schritt wird mittelfristig die Implementierung einer KI-basierten Positionserkennung von Texten innerhalb des Sichtfelds sein. Dann entfällt auch der derzeit letzte notwendige Arbeitsschritt – die Positionierung der Region of Interest.


inspect: Wie hat sich das Bildverarbeitungsgeschäft in den vergangenen Jahren für B&R entwickelt?

Majanovic: Zu Beginn der Entwicklung haben wir uns häufig spöttische Kommentare aus der Branche anhören dürfen. Sowas wie: „Wofür soll das denn gut sein?“ Oder: „Danach hat kein Kunde gefragt.“ Mit dem Ansatz der direkten Integration waren wir, als wir im Jahr 2020 angefangen haben, eben einzigartig.
Unser Integrationsansatz eröffnet einfach Möglichkeiten, die vorher undenkbar waren. Zusätzlich haben wir von Anfang an auf künstliche Intelligenz gesetzt. Diese Technologie löst nicht alle Probleme, kann aber Antworten geben, bei denen herkömmliche regelbasierte Bildverarbeitung einfach keinen Ansatz findet.


inspect: Auch Beckhoff hat mittlerweile ein Bildverarbeitungsportfolio. Und kürzlich streckte Siemens mit der Übernahme von Inspekto seine Fühler ebenfalls in diese Branche aus. Wie bewerten Sie diese Entwicklung?

Majanovic: Also zunächst freuen uns sehr darüber, dass Marktbegleiter unseren Ansatz aufgreifen. Ich denke einfach, dass Bildverarbeitung und Automatisierung zusammenwachsen müssen, genauso wie vor einem Vierteljahrhundert die Steuerungs- und Antriebstechnik zusammengewachsen sind. Dazu bedarf es aber eines Paradigmenwechsels in den Köpfen. Eben „weil es schon immer so war“ offenbaren sich die Möglichkeiten, die sich aus so einer Integration ergeben, nur, wenn die gesamte Maschine betrachtet wird. Der Großteil unserer Kunden hat das mittlerweile erkannt und arbeitet bereits an innovativen Konzepten. Der Markt wird sich verändern, aber es wird noch einige Zeit vergehen, bis auch der letzte Anbieter von Automatisierungslösungen integrierte Bildverarbeitung vollumfänglich unterstützt.


inspect: Welche weiteren Schritte plant B&R in der Bildverarbeitung, um vielleicht das Geschäft auszubauen?

Majanovic: Aktuell arbeiten wir an den letzten offenen Themen im 2D-Bereich. Wir streifen derzeit den 3D-Bereich, der bei uns als nächstes in den Fokus rücken wird. Auch in Richtung KI-basierter Bildverarbeitung steht in Kürze die nächste Variante Global Context Anomaly Detection für unsere Kunden zur Verfügung.

Kontakt

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61169 Friedberg Friedberg
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5142 Eggelsberg
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