Die Klassifikationsleistung von Oberflächeninspektionssystemen bewerten
26.06.2023 - Richtlinienentwurf VDI/VDE/VDMA 2632 Blatt 4.2
Zur Bewertung und Spezifikation von Oberflächeninspektionssystemen für die Flachstahlproduktion ist es wichtig, deren Leistungsfähigkeit reproduzierbar quantifizieren zu können. Mit dem im April 2023 veröffentlichten Richtlinienentwurf VDI/VDE/VDMA 2632 Blatt 4.2 ist dies nun möglich. Das Verfahren lässt sich zudem auf viele Klassifikationsaufgaben übertragen, bei denen die Bestimmung einer „Ground Truth“ nicht möglich ist.
Bei der Oberflächeninspektion von Flachstahl geht es darum, Fehler von oft nur wenigen Quadratmillimetern Größe zu erkennen und einer korrekten Fehlerklasse zuzuordnen. Bei Weißblech reden wir beispielsweise von etwa 15 Kilometer langen und 1 Meter breiten Stahlbändern, die bei einer Bandgeschwindigkeit von bis zu 54 km/h inspiziert werden. Dabei können durchaus 200.000 Ereignisse auf einem Band sein ,“ sagt Dr. Jens Brandenburger, Vorsitzender der VDI-Arbeitsgruppe „Oberflächeninspektionssysteme“. Er ergänzt: „Das ist etwa so, als würde man auf einer zügigen Fahrt von Düsseldorf nach Duisburg die Steinchen auf der Straße auf einer Fahrradwegbreite erkennen und klassifizieren wollen.“ Da ein solches Inspektionsergebnis nicht mit angemessenem Aufwand zu verifizieren ist, fehlt die sogenannte „Ground Truth“, die Grundwahrheit, wie viele und welche Fehler tatsächlich auf dem Band sind.
Es ist höchstens für Teilabschnitte einzelner Bänder möglich, die Ergebnisse des Oberflächeninspektionssystems (OIS) mit denen des Inspektionspersonals zu vergleichen. Doch welche Schlussfolgerungen lassen sich aus solchen Stichproben ziehen? Ein Beispiel: Eine Person schaut sich 1.000 Einzelbilder an, die einem bestimmten Fehlertyp, zum Beispiel „Kratzer“, zugeordnet wurden. Wenn diese Person dann feststellt, dass drei Kratzer in Wirklichkeit ein Riss sind, was sagt das über die Leistungsfähigkeit des Klassifikators aus? In der nächsten Sammlung mit 1.000 Bildern könnten fünf falsch klassifizierte Bilder sein oder auch zwei.
Verfahren für die Leistungsbewertung von Inspektionssystemen
Der im April 2023 veröffentlichte Richtlinienentwurf VDI/VDE/VDMA 2632 Blatt 4.2 stellt ein Verfahren für die Leistungsbewertung von Inspektionssystemen in der Flachstahlproduktion vor. Der Entwurf wurde in einer zweisprachigen (deutsch/englisch) Ausgabe veröffentlicht und kann bis zum 30.06.2023 kommentiert werden.
Die Richtlinie wurde für die Belange der Oberflächeninspektionssystemen in der Stahlproduktion geschrieben, doch lässt sich die Methodik auch auf viele andere Einsatzgebiete für klassifizierende Bildverarbeitungssysteme übertragen, bei denen keine „Ground Truth“ ermittelt werden kann.
Industrie 4.0: Produktionsdaten zur Prozessoptimierung nutzen
Ein wichtiger Aspekt der Industrie 4.0 ist es, Daten von Sensoren, Mess- und Prüfsystemen nicht nur zur Automatisierung des Fertigungsprozesses oder zur Qualitätskontrolle einzusetzen, sondern diese Daten auch zur kontinuierlichen Prozessoptimierung und damit auch für strategische Unternehmensentscheidungen zu nutzen. Hierbei bilden Qualitätsdaten häufig die Zielgröße für übergeordnete Analysen beispielsweise gemäß der Richtlinienreihe VDI/VDE 3714 „Big Data“. Der Wert von validen Daten steigt durch die neuen Methoden zur Datenanalyse noch einmal. Das gibt dem neuen Richtlinienentwurf VDI/VDE/VDMA 2632 Blatt 4.2 zur Leistungsbewertung der Klassifikation eine noch höhere Relevanz. Denn der Anspruch an die Zuverlässigkeit der OIS-Ergebnisse steigt hierbei abhängig vom gewählten Anwendungsfeld und geht von einfachen Fehlertrendberichten zur Bewertung der Prozessqualität und der frühzeitigen Erkennung von Qualitätsabweichungen (Qualitätsmonitoring) bis hin zu automatisierten Freigabeentscheidungen für jedes einzelne Band. Der Richtlinienentwurf gibt deshalb zusätzliche Hilfestellungen für die Bewertung von OIS-Ergebnissen und die Leistungsanforderungen abhängig vom gewählten Anwendungsfeld.
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