„Die durchgängige Vernetzung mit Ethernet ist ein enormer Vorteil“
Interview mit Stefan Gampp, Product Manager Innovation & Digitalization bei Endress+Hauser Deutschland
Stefan Gampp, Product Manager Innovation & Digitalization bei Endress+Hauser Deutschland, spricht mit uns über die Vorteile von Ethernet-APL, verfügbare Produkte sowie die Themen Safety & Security und die Möglichkeiten von Ethernet-APL in Brownfield-Anlagen.
Ethernet-APL ist ein Übertragungsmedium, das speziell für Anwendungen in der Feldebene der Prozessindustrie entwickelt wurde. Wo genau liegen die Vorteile respektive der konkrete Nutzen von Ethernet-APL für Ingenieure einerseits sowie das Bedien- und Wartungspersonal andererseits?
Stefan Gampp: Für Ingenieure aus der Planung bringt Ethernet-APL insofern einen Vorteil, da der Planungsaufwand gegenüber klassischen Feldbustopologien geringer ist. Dies hängt vor allem damit zusammen, dass sich die Komponentenauswahl reduziert und auf der Verdrahtungsseite zwischen Feldkomponenten und den dazugehörigen Ports in den Switches eine Direktverdrahtung stattfindet. Das Personal, das für den laufenden Anlagenbetrieb verantwortlich ist, kann speziell in Kombination mit ethernetbasierten Protokollen wie zum Beispiel Profinet über Ethernet-APL von einem enormen Geschwindigkeitszuwachs während der gesamten Gerätekommunikation profitieren. 10 Mbit/s ist schon eine Hausnummer und macht den Umgang gerade während datenintensiven Use-Cases wie Parametersicherung oder auch kontinuierliche Datenauswertungen auf Leitsystemebene spürbar schneller. Sicherlich ist aber auch die durchgängige Vernetzung mit Ethernet vom Feld bis in die höchsten Automatisierungsebenen ein enormer Vorteil, da dies den Zugang zu den Komponenten vereinfacht.
Die Spezifikationen sollten bereits 2021 fertiggestellt und danach die Infrastruktur von Ethernet-APL und kompatible Feldgeräte verfügbar sein. Wo stehen wir heute und wie schaut es mit der Verfügbarkeit entsprechender Feldgeräte aus?
Stefan Gampp: Ethernet-APL ist nun standardisiert und Hersteller, die Interesse haben, Komponenten aus ihrem Portfolio damit anzubieten, steht dieser Weg offen. Vorwiegend werden diejenigen Hersteller, die auch zur Entwicklung von Ethernet-APL beigetragen haben, jetzt nach und nach Ethernet-APL-fähige Geräte auf den Markt bringen. So werden ab Q2/2023 die ersten Ethernet-APL-Feldgeräte mit Profinet-Protokoll für die Anwender verfügbar sein.
Endress+Hauser stellte Anfang dieses Jahres sein Ethernet-APL-Portfolio vor. Von welchen Geräten respektive Services sprechen wir hier?
Stefan Gampp: Endress+Hauser wird über die meisten Messparameter Profinet-APL unterstützen, auch Digitalisierungsservices werden für Ethernet-APL angeboten werden. So werden zum Beispiel beim Parameter Durchfluss die Durchflussmessgeräte Promag und Promass mit den Geräteelektroniken Proline 300/500 mit der neuen Schnittstelle verfügbar sein, auch das Vortex-Durchflussmessgerät Prowirl 200 wird mit Ethernet-APL ausgestattet. Für die Füllstandsmessung werden die neuen 80-GHz-Radarsensoren Micropilot mit Ethernet-APL verfügbar sein, bei den Druckmessgeräten die High-End-Transmitter Cerabar und Deltabar und bei der Temperaturmessung der neue Kopftransmitter iTEMP TMT86. Wir werden Profinet via Ethernet-APL auch in das cloudbasierte IIoT-Ökosystem Netilion einbinden.
Wie ist aktuell die Nachfrage nach entsprechenden Geräten?
Stefan Gampp: Das Interesse ist abhängig vom Industriezweig. So lässt sich zum Beispiel in Branchen wie Chemie und Power&Energy schon eine erhöhte Nachfrage beobachten. Hier haben Anwender bereits vor über einem Jahr nachgefragt, um frühzeitig an Prototypen heranzukommen. In anderen Branchen scheint man noch etwas zurückhaltender zu agieren und wartet, bis die ersten Geräte wirklich verfügbar sind.
Was sind die konkreten Anforderungen der Prozessindustrie und wie wird Ethernet-APL diesen gerecht?
Stefan Gampp: Ethernet-APL wurde entwickelt, um den erhöhten Anforderungen aus der Prozessindustrie gerecht zu werden. So müssen sowohl Feldgeräte als auch zugehörige Komponenten wie Field-Switches den Ex-Anforderungen entsprechen. Hier spielt Ethernet-APL seinen Trumpf aus. Sämtliche Komponenten können bis zu Zone-1-Anforderungen erfüllen. Aber auch Austauschbarkeit und Einfachheit während der Systemintegration spielen eine ähnlich große Rolle. Wobei genau diese beiden Dinge dem ethernetbasierten Profinet-Protokoll zuzuschreiben sind. Durch die neue Profilspezifikaton des Profibus PA Profils 4.0 kommt jedes Profinet-APL-Feldgerät dem Plug-and-Play-Gedanken zum Beispiel während des Gerätetausches schon sehr nahe.
Wie arbeiten Ethernet-APL und industrielle Ethernet-Protokolle wie Profinet, Ethernet/IP oder Modbus-TCP zusammen?
Stefan Gampp: Ethernet-APL ist lediglich der physischen Schicht im OSI-Schichtenmodell zuzuordnen und arbeitet mit jeglichen Industrial-Ethernet-basierten Protokollen des Applikations-Layers zusammen. So ist es für die Hersteller einfach möglich, neben Profinet oder Ethernet/IP auch Modbus-TCP als Protokoll auf dem Ethernet-APL-Layer zu verwenden.
Was sind typische Anwendungsfälle von Ethernet-APL in der Inbetriebnahme, dem Anlagenbetrieb oder im Bereich MRO (Maintenance, Repair and Operations)?
Stefan Gampp: Da die meisten Feldgeräte mit Ethernet-APL auch von Webservertechnologien Gebrauch machen werden, wird es sicherlich attraktiv sein, diese auch direkt via integriertem Webserver in Betrieb zu nehmen. Das wird die Inbetriebnahme schonmal erheblich vereinfachen, da sie unabhängig vom Betriebssystem und vom verwendeten Endgerät mit jedem Browser bewerkstelligt werden kann. Während des Anlagenbetriebs macht sich vor allem auch die schnelle Performance von mindestens 10 Mbit/s bei datenintensiven Anwendungsszenarien bemerkbar. So kann zum Beispiel ein Parameter-Backup in Sekundenschnelle durchgeführt werden und ein Restore in das neue Gerät ebenso. Wird dieser Use-Case bei vielen Geräten durchgeführt, führt die hohe Bandbreite zu großen Zeiteinsparungen. Im Bereich MRO wird vor allem ein Gerätetausch durch die bereits bekannten Vorteile des Profinet-Protokolls spürbar einfacher. Das Ersetzen von Altgerät durch Neugerät beispielweise erfolgt sowohl auf Parameterebene als auch mit der Rückmeldung der Daten in die Steuerung nach dem Prinzip Plug-and-Play. Ohne Zutun des Anwenders kommen hier dieselben Daten beim Zielsystem an wie beim Altgerät.
Wie schaut es bei Ethernet-APL mit den Themen Safety & Security aus?
Stefan Gampp: Die Empfehlungen der Protokollanbieter und die einschlägigen Richtlinien und Normen werden gemäß den Security-Anforderungen der Prozessautomatisierung weitgehend berücksichtigt. Dies sind insbesondere die IEC TR 63069 sowie die Normenreihen zu IEC 62443 und ISO/IEC 27000. Die dort beschriebenen Maßnahmen sind auf Ethernet-APL-Lösungen durchgängig anwendbar. Ethernet-APL ermöglicht auch den Safety-Datenaustausch. Mit Profisafe existiert eine Lösung, die in der Fabrikautomation bereits weitverbreitet zum Einsatz kommt, jedoch in der Prozessautomation noch nicht wirklich Fuß gefasst hat. Anforderungen für Safety-Anwendungen sind berücksichtigt, wie die Erfüllung aktueller Anforderungen gemäß IEC 61784-3 [8] (Industrial Communication Networks) und für den Prozess ausreichende Reaktionszeiten, auch bei zusätzlichem azyklischem Datenaustausch. Aufgrund der mangelnden Implementierung der Safety-Protokolle auf den Advanced Physical Layer sind Stand heute noch so gut wie keine Feldgeräte für die Prozessautomatisierung am Markt, die dies unterstützen. Die Feldgerätehersteller beschäftigen sich aber mit der Implementierung dieser Safety-Protokolle, um mittelfristig Sensorik und Aktorik gemäß diesen Anforderungen anbieten zu können.
Wie kann man Ethernet-APL auch für Brownfield-Projekte nutzbar machen? Welche Komponenten sind notwendig, um ein Ethernet-APL-Netzwerk einzurichten?
Stefan Gampp: Die Herausforderung, Ethernet-APL in Brownfield-Anlagen zu verwenden, besteht in der Berücksichtigung koexistierender Kommunikationstechnologien, die einander nicht ausschließen. Primär ist aber zu entscheiden, dass auf der Steuerungsseite im Automatisierungsnetzwerk mindestens eine Profinet-Umgebung geschaffen werden muss, um Ethernet-APL geräteseitig zu implementieren. Die Kopplung auf konventionelle Technologien wie 4…20 mA Hart oder auch Profibus DP ist über entsprechende Systemkomponenten möglich. Vorteilhaft ist auch die Abwärtskompatibilität der APL-Field-Switches. An diese können auch problemlos Profibus-PA-Feldgeräte angeschlossen werden.
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