„Ansprechpartner für komplexe Verbindungslösungen“
21.11.2023 - Im Gespräch: Sabine Bröckskes-Wetten, Geschäftsführerin des Familienunternehmens SAB Bröckskes
Was Spezialkabel mit Schnellbooten zu tun haben, was eine Spezialkabelfertigung ausmacht und wie die Digitalisierung und SPE die Kabelwelt beeinflussen, darüber sprechen wir mit Sabine Bröckskes-Wetten.
Frau Bröckskes-Wetten, im Juni 2022 feierte SAB Bröckskes 75-jähriges Firmenjubiläum. Seit 2011 sind Sie Eigentümerin des Unternehmens und seit 2020 tragen Sie die alleinige Verantwortung. Für was steht SAB Bröckskes, was macht Ihr Unternehmen aus?
Wir haben uns als Familienunternehmen zu einem führenden Hersteller hochflexibler Kabel und Leitungen entwickelt und sind mit unseren Produkten weltweit in über hundert Ländern vertreten. Mit rund 550 Mitarbeitenden produzieren wir kundenindividuelle Lösungen, die in Aufbau, Material, Geflecht, Adernanzahl und Querschnitt exakt auf die jeweiligen Anwendungen zugeschnitten sind. Entwicklung und Fertigung führen wir ausschließlich Made in Germany am Stammsitz in Viersen durch. Nicht selten entwickeln wir gemeinsam mit unseren Kunden neue Leitungen mit einer oder mehreren Musterproduktionen. Unsere Kunden schätzen diesen Service sehr, denn durch unsere jahrzehntelange Erfahrung können wir viele Parameter bereits im Vorfeld berücksichtigen und die Entwicklungszeit deutlich verkürzen.
Wann und warum fiel die Entscheidung, sich auf Spezialkabel zu fokussieren?
Die Umstellung auf Spezialkabel erfolgte in den 1990er-Jahren, als die Produktion von Standardkabeln aufgrund des internationalen Wettbewerbs nicht mehr rentabel war. Deshalb entschloss sich mein Vater, Peter Bröckskes, zu einem Wechsel der Unternehmensstrategie – weg vom Handelsgeschäft und hin zum Spezialkabelhersteller und Problemlöser. Diese Neuorientierung hat sich ausgezahlt. Als Schnellboot der Branche konnten wir uns auch in kritischen Phasen auf Wachstumskurs halten, als die großen Tanker der Kabelindustrie mächtig in Schieflage gerieten. Die neue Unternehmensstrategie sah vor, direkt an die Industrie statt an den Handel zu verkaufen und die Stärken eines mittelständischen Familienunternehmens in den Vordergrund zu stellen: Flexibilität, technische Kompetenz und kurze Entscheidungswege. Dies sind die optimalen Voraussetzungen, um auf jede Anfrage individuell zu reagieren. SAB konnte so am Produktionsstandort Deutschland festhalten, die Arbeitsplätze sichern und sich fest als Problemlöser in der Kabelbranche etablieren.
Was charakterisiert die Fertigung von Spezialkabeln im Unterschied zu Standardlösungen und welche Kundenerwartungen sind damit verbunden?
Die Spezialkabelfertigung ist durch eine hohe Variantenvielfalt gekennzeichnet. Deshalb braucht es viel Know-how und eine ausgeprägte Fertigungstiefe, um die unterschiedlichen Kundenbedürfnisse adäquat und zeitnah bedienen zu können. Pro Jahr stellen wir rund 1.500 Sonderlösungen her, die in dieser Form vorher nicht erhältlich waren. Das schließt auch kleine Losgrößen und kurze Kabellängen bis 300 m oder gar 100 m ein. Mit unserer breiten Palette an Isolations- und Mantelwerkstoffen können wir nahezu jedes Verbindungsproblem unserer Kunden lösen. Häufig wird vom Markt eine Komplettlösung aus Kabel und Steckverbinder gefordert. Daher haben wir in den vergangenen Jahren unsere Kapazitäten im Bereich der Kabelkonfektionierung deutlich ausgebaut. Heute können wir eine Vielzahl konfektionierter Verbindungslösungen anbieten und noch individueller auf Kundenbedürfnisse reagieren.
Wo liegen die Branchenschwerpunkte Ihres Unternehmens und welche Herausforderungen ergeben sich daraus?
Zu den wichtigsten Märkten für SAB Bröckskes zählt nach wie vor die Robotik: angefangen von Schleppleitungen für die siebte Achse bis zu tordier- und biegbaren Leitungen für Schlauchpakete an den 6-Achs-Kinematiken. Im Scara-Roboter verfügen wir über ein umfangreiches Produktprogramm robotertauglicher Leitungen. Diese Leitungen sind in Materialauswahl und Konstruktion auf hohe mechanische Beanspruchungen ausgelegt und zeichnen sich durch eine lange Lebensdauer aus. Um das zu gewährleisten, führen wir im Unternehmen verschiedene Belastungstests und Prüfungen durch. Das Prüfspektrum reicht von Biegeversuchen über Tests auf Öl- oder Medienbeständigkeit bis hin zu Tests auf unseren Hochfrequenz-Prüfplätzen und in unserem Brandlabor. Nur so werden wir den hohen Qualitätsansprüchen unserer Kunden gerecht.
Wie hat sich Ihr Angebot im Kontext von Digitalisierung und Industrie 4.0 entwickelt?
Als Kabelhersteller war die Vernetzung von Produktion und Maschinen für uns schon weit vor der Digitalisierung und Industrie 4.0 von Relevanz. Seit Einführung der ersten Feldbussysteme sind wir im Sektor Automatisierung aktiv und konnten so frühzeitig auf die Bedürfnisse des Marktes reagieren. Mittlerweile produzieren wir eine Vielzahl an Bus-, Ethernet- und Hybridleitungen für die Vernetzung intelligenter Systeme und erwirtschaften einen großen Teil unseres Umsatzes mit Kabeln, die dem Bereich Industrie 4.0 zuzuordnen sind. Zudem entwickeln und fertigen wir zertifizierte Lösungen für viele weitere wichtige Sparten wie die Bahntechnik, den Schiffbau oder die Medizintechnik.
Zu den Wachstumsbranchen zählt auch die Elektromobilität. Welche Lösungen für die Hochvolt-Verkabelung umfasst Ihr Portfolio?
Schon seit über zehn Jahren befassen wir uns mit der Entwicklung und Optimierung von Hochvolt-Leitungen und -Messtechnik für Komponenten in der Elektromobilität. Dafür haben wir mit unserem Technologiepartner CSM ein HV-Messsystem aus Messmodulen, Temperatursensoren und Messkabeln für Hochvolt-Komponenten wie HV-Batterien eingeführt. Das Messsystem bietet geprüfte Sicherheit nach DIN EN 61010 und eignet sich ideal für den mobilen Einsatz in Elektro- und Hybridfahrzeugen sowie für stationäre Installationen. Aufgrund des mehrstufigen Sicherheitskonzepts mit speziellen Sensorleitungen und HV-Messmodulen ist eine sichere Messkette vom Sensor bis zur Datenerfassung gewährleistet. Ein weiterer Vorteil besteht darin, dass sich auch gängige Sensoren aus dem Niedervolt-Umfeld in HV-Anwendungen einbinden lassen.
Stichwort SPE: Die Vereinfachung und Verschlankung von Verkabelungssystemen sind aktuell wichtige Trends. Wie haben Sie sich auf diese Entwicklung eingestellt?
Single-Pair-Ethernet stellt einen Meilenstein für die industrielle Vernetzung dar. Um die Entwicklung dieser Technologie von Anfang an mitzugestalten, sind wir 2020 dem SPE Industrial Partner Network e.V. beigetreten. Gerade erst haben wir auf der SPS in Nürnberg zwei neuentwickelte SPE-Lösungen für die Automatisierung vorgestellt, die eine Datenübertragung mit hohen Bandbreiten von 1 MHz bis 600 MHz erlauben. Mit der schleppkettenfähigen, UL-zertifizierten CATLine-SPE-C-Track bieten wir eine besonders dauerflexible Konstruktion mit spezieller Verseiltechnik, die häufigen Biegewechseln und -zyklen sicher standhält. Als zweite Messeneuheit haben wir die CATLine-SPE-Robot präsentiert. Diese robotertaugliche Variante mit UL-Approbation zeichnet sich durch eine hohe Torsionsfähigkeit von +/- 180° aus. Beide Modellreihen sind LABS-unkritisch, ölbeständig und RoHS-konform. Zudem führen wir mit den Modellen HT, Rugged und Rail drei weitere CATLine-SPE-Ausführungen für Hochtemperaturbereiche, den robusten Innen- und Außeneinsatz sowie für Schienenfahrzeuge im Programm. Alle Leitungen sind als Single Pair aufgebaut und können je nach Einsatzgebiet auch als Hybridleitung konzipiert werden.
Geben Sie uns noch einen Ausblick. Worin sehen Sie in den kommenden Jahren die zentralen Aufgaben und Herausforderungen für SAB Bröckskes?
Wir wollen uns künftig noch stärker als erster Ansprechpartner der Industrie für komplexe Verbindungslösungen positionieren. Mit unserer langjährigen Erfahrung in der Entwicklung und Fertigung von Sonderlösungen möchten wir unseren Anspruch unterstreichen, für jeden Kunden und Anwendungsfall eine individuelle Verbindungslösung herzustellen. Als weitere Herausforderung für eine zukunftssichere Unternehmensentwicklung sehe ich die Gewinnung von Fachkräften und die Mitarbeiterbindung. Gerade in den vergangenen drei Jahren hat sich der Fachkräftemangel immens verschärft. Hier gilt es gegenzusteuern und unsere Vorteile als innovatives, familiengeführtes und mitarbeiterfreundliches Unternehmen zu präsentieren. Deshalb setzen wir weiterhin auf Ausbildung und Fachkräftesicherung. Ein drittes Themenfeld, mit dem wir uns intensiv befassen, betrifft eine nachhaltige, auf CO2-Neutralität ausgerichtete Produktion. Bereits 2005 haben wir erfolgreich ein Umweltmanagementsystem nach ISO 14001 und 2011 ein Energiemanagementsystem nach ISO 50001 eingeführt. Zudem beteiligen wir uns aktiv im Energie- und Klimaschutznetzwerk und wollen im nächsten Jahr einen Fahrplan in Richtung Carbon Zero auflegen. (agry)
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