„Am Puls der Zeit lauschen"
Interrview mit Markus Schnitzlein, CEO Chromasens
Der Markt für Farbzeilenkameras entwickelt sich rasant. Im Bereich der Farbmesstechnik wachsen die Anforderungen an die Qualität der Bilder stark. Chromasens spielt in der ersten Liga mit. Das Erfolgsgeheimnis: Das Unternehmen setzt auf starke Innovationskraft, die engen Kooperationen mit Hochschulen entspringt.
inspect: Chromasens war Gastgeber des 52. Heidelberger Bildverarbeitungsforums. Warum engagieren Sie sich hier so stark?
M. Schnitzlein: Unser Unternehmen ist in der Entwicklung von Zeilenkamera- und Farbmesstechnik mit führend. Dieser Erfolg gründet sich unter anderem auf einen engen Kontakt zu den Hochschulen. Eine Konsequenz daraus ist eben die Teilnahme an vielen wissenschaftlichen Veranstaltungen oder Kongressen. Wir leben zum großen Teil davon, dass wir am Puls der Zeit mitlauschen. Das ist praktisch der Hintergrund der Kooperation mit dem Heidelberger Bildverarbeitungsforum oder auch mit anderen wissenschaftlichen Institutionen.
inspect: Es sind aber doch auch Wettbewerber dabei, die dann bei Ihnen lauschen?
M. Schnitzlein: Sicherlich, was meines Erachtens aber keinen Schaden darstellt. Es geht darum, dass wir uns öffentlich bekennen, an wissenschaftlichen Themen zu arbeiten. Denn wir sind auch Entwicklungsfirma, also nicht nur Anbieter von Komponenten, sondern auch Partner, wenn es um Lösungsentwicklungen geht, etwa in den Bereichen Beleuchtungstechnik, 3D-Messtechnik, optische Bildaufnahmesysteme bis hin zur Spektralmesstechnik. Um dort als Unternehmen auch wahrgenommen zu werden, ist die Präsenz im wissenschaftlichen Bereich durchaus wichtig.
inspect: Ihr Unternehmen hat sich schon zu einem sehr frühen Zeitpunkt auf die Farbbilderfassung sowie -auswertung mittels Zeilenkameras spezialisiert. War damals der Markt denn schon reif dafür?
M. Schnitzlein: 1990 waren wir bereits an diesem Thema dran, als wir noch die CGK Computer Gesellschaft Konstanz, eine Siemens-Tochter, waren. 1995 brachten wir dann die ersten schnellen Farbscanner auf den Markt. Da war der Markt de facto noch nicht reif dafür. Wir waren zu früh. Erst im Jahr 2000 gab es dann einen gewissen Durchbruch in der Farbbildverarbeitungstechnik aufgrund von Passanträgen mit farbigen Passbildaufnahmen. Hier vermischte sich das Thema einfaches Scannen zum Lesen der Dokumente mit dem Thema Farbbilderfassung auf unterschiedlichen Materialien und der hochwertigen Bild-Wiedergabe. Als dann Océ dieses Geschäft übernahm, bauten wir die Farbbilderfassung im Bereich Wide-Format-Scan aus. Dies war dann der wirkliche Einstieg in die Farbbilderfassung und -verarbeitung.
inspect: Hatten Sie damals schon andere Ziele im Blickfeld mit der Farbbildverarbeitung?
M. Schnitzlein: Ja, es ging nie darum, nur ein buntes Bild zum Ausdrucken zu generieren. Das war zwar ein wichtiger Faktor, aber das eigentlich Interessante war, mit messtechnischen Methoden unterschiedliche Farben unterscheiden zu können, z.B. auf Formularen. Unser Entwicklungsziel bestand schon immer darin, die Farbe für messtechnische Zwecke zu verwenden - etwa sortieren zu können, anhand von Farbmerkmalen. Ideen hatten wir damals bereits genug, z.B. für den Bereich Druckinspektion und Lebensmittel- oder Gesteinssortierung.
inspect: Warum haben Sie sich auf Zeilenkameras spezialisiert?
M. Schnitzlein: Zeilenkameras waren immer schon der treibende Faktor, weil wir uns damit in einer ganz interessanten Nische bewegen konnten. Formularscanner basierten von Anfang an auf Zeilenkameras und bis heute favorisieren wir diese auch. Denn damit sind eine sehr schnelle Bilderfassung und auch die nachfolgende Bildverarbeitung möglich. Kontinuierliche Scanprozesse, in denen sich das Objekt bewegt, gerade beim Produzieren und Sortieren von Waren, ob es nun Formulare, Kunstdrucke, Lebensmittel, Steine oder andere Dinge sind, lassen sich am einfachsten mit Zeilenkameras realisieren.
inspect: Seit 2004 firmiert Ihr Unternehmen nun unter Chromasens und ist weiterhin innovativ. Sie entwickeln nicht nur Kameras, sondern Komponenten wie Bildsensoren, LED-Hochleistungsbeleuchtungen und sogar spezielle Optiken. Das ist ein breites Spektrum und außergewöhnlich für ein Unternehmen Ihrer Größe von rund 50 Mitarbeitern. Wie können Sie das stemmen hinsichtlich Wissen, Man-Power und Kapital?
M. Schnitzlein: Ja, es ist ein sehr großer Aufwand und sicherlich ungewöhnlich, sich so stark in diesem wissenschaftlichen Forschungsumfeld zu bewegen und gleichzeitig als Systemanbieter von Kamera- und Beleuchtungssystemen aufzutreten. Wir können diesen Spagat auch nur deswegen schaffen, weil wir ausreichend viele wissenschaftlich orientierte Mitarbeiter haben, die sich in Kooperation mit Hochschulen sehr intensiv Grundlagenstudien widmen. Wie ich anfangs bereits sagte, lässt sich dieses breite Spektrum an Themen nur durch Kooperationen mit Hochschulen in einer ausreichenden Tiefe bearbeiten. Zu jedem Themenfeld gibt es eine kooperierende Hochschule, mit der wir Grundlagen diskutieren. Das ist sowohl bei unserer neuen Kamera für Vollflächenerfassung von Spektraldaten truePixa, die wir vor Kurzem am Markt vorgestellt haben, der Fall gewesen als auch bei unserem 3D-Stereosystem zur gleichzeitigen Farbprüfung und 3D-Vermessung.
inspect: Wie viel Budget stecken Sie in Forschung und Entwicklung?
M. Schnitzlein: Wir haben einen Jahresumsatz zwischen 8 und 10 Millionen und stecken jedes Jahr 1,2 bis 1,5 Mio. € in die Grundlagenforschung. Darin sind allerdings Förderbeiträge durch das BMBF oder die EU eingeschlossen. Doch der Eigenaufwand ist hierbei sehr hoch.
inspect: Wie hat sich die Nachfrage nach Farbzeilenkameras in den vergangenen fünf bis 10 Jahren entwickelt und wo war sie besonders stark?
M. Schnitzlein: Der Markt wächst unheimlich, weil ein großer Nachholbedarf da ist. In den vergangen Jahren konnten sich schon sehr viele Farbapplikationen im Markt etablieren. Dort, wo bis vor Kurzem noch monochrome Kameras eingesetzt wurden, wählen die Anwender heute gerne Farbkameras, die kaum mehr teurer sind, aber eine Fülle an zusätzlichen Möglichkeiten durch das Merkmal Farbe bieten. Ein Beispiel ist der Halbleiterbereich. Halbleitermaterial ist zwar nicht farbig, doch viele Mängel lassen sich im Bereich der Beugung oder durch Interferenzeffekte feststellen. Die Glasinspektion ist ein weiteres Beispiel, wo lange Zeit mit vielen Monochromkameras gearbeitet wurde: eine für die Durchsicht, eine für die Aufsicht, eine für die Inspektion des Glaskörpers selbst. Statt vormals drei oder vier Kameras, lassen sich Inspektionsaufgaben heute anhand einer einzigen Kamera lösen, etwa mit unserer Multispektralkamera. Dadurch lässt sich ein erheblicher Anteil an Kosten sparen und auch der Bauraumbedarf, der bei vielen Applikationen knapp ist, fällt nun wesentlich kleiner aus, was einen signifikanten Vorteil darstellt.
inspect: Welche technischen Herausforderungen stellt im Speziellen der Farbbildverarbeitungsmarkt?
M. Schnitzlein: Die Frage nach höherer Geschwindigkeit ist immer vorhanden. Das betrifft aber sowohl Farb- als auch Monochromkameras. Wobei CMOS-Kameras hohes Potential bieten, denn damit lässt sich sehr viel schneller arbeiten als mit CCD-Kameras. Für Farbmessaufgaben reicht die Qualität der CMOS-Technologie allerdings noch nicht aus, wegen der mangelnden Linearität und Homogenität dieser Kameras. Das heißt, im Bereich der Farbmesstechnik wachsen die Anforderungen an die Qualität der Bilder im Sinne von Linearität, Rauschfreiheit usw. extrem stark. Deswegen verzögert sich der Umstieg auf die CMOS-Technik. Wir gehen deshalb jetzt zwei Wege: Zum einen entwickeln wir unsere eigenen CMOS-Farbsensoren, um den Anforderungen an das schnelle Scannen gerecht zu werden. Und zum anderen bleiben wir auf der Messtechnikseite noch CCD-Kameras treu, weil wir glauben, dort mehr Vorteile aus der höheren Qualität ziehen zu können, als einen Nutzen aus der höheren Geschwindigkeit.
inspect: Chromasens ist jetzt mit dem allPixa-System bei 110.000 Zeilen/s und 170 MPixel/s angekommen. Sind die steigenden Schnelligkeitsanforderungen, die der Markt stellt, noch realistisch und wann ist das Limit erreicht?
M. Schnitzlein: Schon vor 15 Jahren sind wir davon ausgegangen, dass sich das Thema Geschwindigkeitssteigerung bzw. Beschleunigung irgendwann einmal mäßigen muss. Es ist aber nicht so. Und ich kann nicht behaupten, dass wir an einem Limit angekommen sind. Die Kamera schnell zu machen, ist die eine Sache. Das setzen auch viele Firmen um. Aber das Licht bereitzustellen, um bei hohen Bildraten gute Bilder liefern zu können, dem kommen nur wenige nach.
inspect: Haben Sie deshalb vor etwa fünf Jahren begonnen, LED-Hochleistungsbeleuchtungen zu entwickeln, sogar für den nichtsichtbaren Bereich?
M. Schnitzlein: Die Lichtmenge, die man benötigt, um bei hohen Geschwindigkeiten gute Bilder aufnehmen zu können, steigt in gleicher Weise, wie die Geschwindigkeit der Kameras. Um diesen Anforderungen gerecht werden zu können, haben wir uns in den Bereich der Zeilenbeleuchtung hineingewagt. Das ist zwar bereits ein dicht besiedeltes Gebiet, doch viele Applikationen leiden jetzt schon darunter, da sich zwar die Kameratechnik mit hohen Bildraten betreiben lässt, aber die Lichtmengen bei weitem nicht ausreichen, das gewünschte Ergebnis zu erhalten. Der Anwender muss wegen dem höheren Bildrauschen, das aufgrund der kleineren Anzahl von Photonen entsteht, viele Kompromisse eingehen.
inspect: Wie sieht Ihre Lösung aus?
M. Schnitzlein: Die technischen Herausforderungen, um eine hohe Lichtmenge zu erzeugen, sind nicht einfach zu bewältigen. Es müssen große Ströme geregelt werden. Das machen nicht viele Anbieter. Gerade bei Farbapplikationen mit weißem Licht ist das Fokussieren der Beleuchtung ein riesiges Problem. Nahezu alle Anbieter fokussieren mit Stablinsen, um eine Linie projizieren zu können. Das hat jedoch zur Folge, dass sich die spektrale Verteilung des Lichtes über den Fokus ändert. Das heißt, die Brechung in der Linse führt zu ganz erheblichen Farbabweichungen. Vernünftige Farbmessungen, wie sie mit spektralen Messungen in der Druckinspektion einhergehen, lassen sich mit diesen Beleuchtungen gar nicht verwirklichen, weil sich die Variation des Lichtspektrums über den Ort ändert. Das lässt sich nur über ein nicht-refraktives Element beheben, indem wir also über einen Spiegel das Licht fokussieren. Die Art der Fokussierung über einen ellipsoiden Spiegel wurde für diese Applikationen patentiert. Mit diesem Ansatz erreichen wir eine hohe Qualität, d.h., eine hohe Gleichmäßigkeit des Spektrums und noch dazu den Vorteil einer höheren Effizienz. Deswegen machen wir mit unseren Zeilenbeleuchtungen zurzeit ein sehr gutes Geschäft.
inspect: Auch mit der Multispektralkamera truePixa haben Sie neue Maßstäbe gesetzt. Welche sind das?
M. Schnitzlein: Der neue Maßstab ist die vollständige spektrale Erfassung von ganzen Flächen. Nach dem bisherigen technischen Stand gibt es heute nur spektrale Punktmesssysteme am Markt, also Systeme, die ein Spektrometer beinhalten und von Ort zu Ort gefahren werden, um lokal den Farbwert eines Punktes bzw. die spektrale Zusammensetzung zu messen. Wir setzen neue Maßstäbe, indem wir zeitgleich eine ganze Bildzeile Pixel für Pixel spektral erfassen können. Unsere Messgenauigkeit ist so gut wie die eines Spektrometers. Diese besitzen auch Auflösungen von 5 nm. Denen stehen wir in nichts nach. Stellen Sie sich vor, Sie haben die Aufgabe, den linken und rechten Rand eines Druckbildes miteinander zu vergleichen, weil beide zusammengeklebt werden sollen, etwa für eine Tetra-Pak-Verpackung. Dann müssen der linke und rechte Rand farbmetrisch identisch sein. Mit einem traversierenden System lassen sich der rechte und linke Rand nur nacheinander erfassen. Wir können es zeitgleich machen.
inspect: Dann bringt Ihre Entwicklung immense Zeit- und auch Kostenersparnis!
M. Schnitzlein: Genau. Das Thema Multispektralkamera ist für uns momentan das spannendste von allen, weil sich hier ein riesiger Markt öffnet. Wir wollen die Vorteile, die unsere Neuentwicklungen bieten, in den Markt hineinbringen. Zunächst konzentrieren wir uns auf die etablierten Märkte, die den Einsatz von Farbkameras schon lange betreiben, um diese durch Spektralkameras zu ergänzen oder gar zu ersetzen. Neue Anwendungsfelder ergeben sich dann fast automatisch. Etwa im Sicherheitsbereich bietet sich mit der multispektralen Messtechnik nun auch die Möglichkeit, in die Farbe der Geldscheine neue Sicherheitsmerkmale hinterlegen zu können.
inspect: Welche Märkte - neben dem drucktechnischen - werden sich zukünftig noch öffnen für Multispektralkameras?
M. Schnitzlein: Die ganze Sortierwelt bietet sich an - von der Tee- bis zur Abfallsortierung, überall dort, wo auf visueller farborientierter Basis entschieden werden muss. Auch die Textilinspektion ist ein Thema, das sich für uns derzeit öffnet, weil dort die Farbwahrnehmung sehr wichtig ist und sich dort nicht unbedingt Farbmesssysteme, wie sie heute etabliert sind, einsetzen lassen. Auch die Holzinspektion ist interessant, weil sich keine handelsüblichen Spektrometer einsetzen lassen, da die Beobachtungsgeometrie eine ganz andere ist. Wir können mit unserer Multispektralkamera die Maserung in größeren Flächen anschauen und diese auf einer Millimeterskala analysieren. Und das können die ganzen anderen Systeme heute nicht. Ein anderes Anwendungsfeld liegt im Solarzellenbereich - dort geht es um die farbliche Sortierung von Solarzellen, damit diese die gleiche Farbschattierung aufweisen wie das Dach. Das sind die Nischen, um die wir uns zurzeit kümmern.
inspect: Marketingtechnisch hat Ihr Unternehmen neue Wege beschritten mit einer ersten App. Ist das nur ein Hype im Sog des Mobilitäts-Mainstreams oder sehen Sie darin ernsthafte Vorteile für Ihr Unternehmen und den Anwender?
M. Schnitzlein: Es ist sicherlich jetzt erst einmal ein Hype. Das Thema App wird aber in der Zukunft noch interessant werden. Die Anwender wollen gern Zugriff auf Bilddaten, auf Systemdaten einer Farbinspektionsaufgabe über eine mobile tragbare Einheit haben, über ein iPad z.B. Das ist die Art von App, die derzeit nachgefragt wird. Hier werden wir sicher in Zukunft noch einiges tun müssen. Das ist aber eine Anwendungsfrage. Was wir auf der Homepage haben, ist eine Spielerei, die dieses Thema tangieren soll - einfach mal mit der Kamera spielen. Ich glaube, das Thema App ist ein Zugang zu einer anderen Generation von Entwicklern, die gewohnt ist, auf diese Art und Weise, sich Technologien zu erschließen. Eine App ist ein Trendmedium.