75 Jahre Pilz: für mehr Sicherheit und Effizienz
21.11.2023 - Von der Nachkriegszeit zur EU-Maschinenverordnung und Richtlinie NIS 2
Alles begann 1948 mit der Gründung einer Glasbläserei durch Hermann Pilz im baden-württembergischen Esslingen. Damals konzentrierte man sich noch auf die Fertigung von Glasapparaten für die Medizintechnik und auf Quecksilberschaltgeräte für industrielle Anwendungen. Dann kam der Wandel zum Elektronikunternehmen in den 60er-Jahren durch Sohn Peter Pilz. Dessen Frau Renate Pilz machte das Unternehmen zum führenden Unternehmen für sichere Automatisierung. 75 Jahre nach Gründung hat sich aus der einstiegen Glasbläserei ein Unternehmen mit rund 2.500 Mitarbeitenden bei einem Umsatz von über 403 Millionen Euro entwickelt, das Niederlassungen in praktisch allen Teilen der Welt betreibt. Produktseitig steht Pilz heute für Komplettlösungen aus Sicherheits- und Steuerungstechnik in der Automatisierung. Welche Rolle das Unternehmen aus Sicht der Geschäftsleitung in der gegenwärtigen Transformation der Industrie spielt, welche Herausforderungen neue Regularien und Verordnungen mit sich bringen und wie die Zukunft des Unternehmens aussehen wird, haben die beiden geschäftsführenden Gesellschafter Susanne Kunschert und Thomas Pilz, die das Familienunternehmen nun in dritter Generation führen, im Interview mit GIT Sicherheit erläutert.
Zunächst herzlichen Glückwunsch zum 75. Firmenjubiläum. Eine tolle Erfolgsgeschichte, obwohl es sicher in dieser langen Zeit einige Herausforderungen zu bewältigen gab. Rückblickend, was waren Ihres Erachtens die schwierigsten Situationen für Pilz,
die es zu meistern gab?
Thomas Pilz: Vielen Dank für die Glückwünsche! Wir blicken mit einer tiefen Dankbarkeit und voller Freude auf das Jubiläum. Unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter machen unser Unternehmen aus. In diesen Dank schließen wir unsere Lieferanten und unsere Kunden ein, denn ohne Kunden kein Unternehmen, ohne Lieferanten keine Produktion. Wir haben uns von der Gründergeneration bis heute zu einem etablierten Mittelständler entwickelt. Das ist nichts, was man als gegeben sehen darf. Den Bestand des Unternehmens muss man sich jeden Tag neu erarbeiten.
Susanne Kunschert: In der Tat ist Pilz in den 75 Jahren nicht nur gewachsen, sondern musste auch immer wieder schwierige Situationen meistern, wie etwa den unerwarteten Tod unseres Vaters oder den Cyberangriff vor vier Jahren. Wichtig ist, wie man mit solchen Situationen umgeht. Man muss sie annehmen und thematisieren. Unsicherheiten und Krisen werden uns alle weiter begleiten. Wir mussten und müssen es so akzeptieren, wie es ist, und immer wieder das Beste daraus machen und all unsere Energie in die Kreativität stecken. Nach den letzten Krisenjahren ist es wunderbar, hier sitzen zu dürfen und zu sagen: Pilz ist ein gesundes, resilientes Unternehmen. Das ist eine großartige Leistung all unserer Mitarbeiter und Mitarbeiterinnen!
Gehen wir jetzt mal zur Gegenwart. Mit der neuen Maschinenverordnung der EU und der Richtlinie NIS 2 kommen auch auf den Maschinen- und Anlagenbau völlig neue Herausforderungen zu. Wie bewerten
Sie diese Entwicklung?
Thomas Pilz: Auf Maschinenbauer kommen, mit Blick auf Security, in der Tat neue und zum Teil sehr strenge gesetzliche Anforderungen zu. Und zwar sowohl beim Betrieb von Informationssystemen (IT/OT-Sicherheit) als auch bei vernetzten Systemen (Komponenten, Maschinen, Anlagen). Das ist jedoch bislang noch gar nicht in allen Unternehmen angekommen. Unternehmen tun gut daran, sich baldmöglichst mit NIS 2 zu beschäftigen und eine ganzheitliche Security-Betrachtung für ihr Unternehmen durchzuführen. Dazu gehört beispielsweise der Aufbau eines Managementsystems für Informationssicherheit (ISMS) mit Zertifizierung nach der Informationssicherheits-Norm ISO 27001. Im Maschinenbau ist Security in Form von Industrial Security nicht allein Aufgabe der IT, sondern integraler Bestandteil der Konzeption und Konstruktion. Security im Nachhinein zu implementieren, ist immer aufwändig und bedeutet meist Einbußen bei Anwenderfreundlichkeit, Funktionalität und Produktivität. Bei der Risikobeurteilung kommt zur Safety jetzt also auch die Security hinzu. Es sind die zwei Seiten einer Medaille. Ohne Security wird man keine CE-Kennzeichnung mehr erlangen!
Werden die Änderungen der gesetzlichen Rahmenbedingungen auch Auswirkungen auf Entwicklung und Produktion Ihres eigenen Produktportfolios haben?
Thomas Pilz: Mit dem Thema Security beschäftigen wir uns schon seit 15 Jahren. Wir haben vor sechs Jahren unsere Industrial-Firewall, die SecurityBridge auf den Markt gebracht, weil wir damals schon erkannt haben, dass auch die Safety geschützt werden muss. Daher entwickeln wir schon lange secure nach IEC 62443-4-1. Wir arbeiten kontinuierlich an den Themen Automatisierung und Security mit der Kernkompetenz Safety. Da wir Trendthemen immer vorausschauend und rechtzeitig begonnen haben, stehen wir auf einem guten Fundament.
Die neuen Verordnungen und Richtlinien im Maschinen- und Anlagenbau sorgen gerade bei kleinen und mittelständischen Unternehmen für viel Unsicherheit, wenn es um die Frage geht, wie das nötige Level an Sicherheit erreicht werden kann. Bietet Pilz als Experte seinen Kunden diesbezüglich auch Hilfestellung in Form von Services an?
Susanne Kunschert: Im Gespräch mit Kunden und Partnern registrieren wir Unsicherheiten im Umgang mit Security. Jeder weiß um die Gefahr durch Security-Schwachstellen, aber wer soll im Unternehmen für Fragen der Industrial Security zuständig sein? Die IT-Experten oder doch der Sicherheitsbeauftragte? In welchem Umfang betreffen mich als Unternehmer die normativen Änderungen? Wenn diese Wissenslücken nicht geschlossen werden, werden auch die Fragen der Security nicht ausreichend beantwortet werden. So wird deutlich, dass es einen hohen Informations- und Weiterbildungsbedarf gibt, um das eigene Unternehmen und seine Fachkräfte für die Herausforderungen der Security zu rüsten.
Wir bauen unser Dienstleistungsportfolio im Bereich Industrial Security aus und ergänzen die bereits angebotenen Schulungen in diesem Bereich. Unser Dienstleistungsangebot „Industrial Security Consulting Service” erweitert die bisherige, auf die funktionale Sicherheit fokussierte, sicherheitstechnische Betrachtung von Maschinen. Wir sind zu einer ganzheitlichen Betrachtung von Safety und Security gegangen. Maschinenbauer und Anwender erhalten von Pilz ein Serviceangebot, das alle Aspekte für den Schutz von Mensch und Maschine berücksichtigt. Diese Dienstleistung startet zunächst in Deutschland.
Viele Experten erwarten derzeit, dass sich der Sicherheitsmarkt in Deutschland in den kommenden Jahren angesichts der veränderten internationalen Sicherheitslage und den gestiegenen Anforderungen auf gesetzlicher Seite verdoppeln wird. Wie bewerten Sie diese Entwicklung für Ihr eigenes Unternehmen?
Thomas Pilz: Die digitale Transformation verlangt eine Neubetrachtung der Sicherheit von Maschinen und Anlagen. Security wird zum erfolgskritischen Faktor. Das bestärkt uns in unserer Ausrichtung. Pilz ist überzeugt, dass nur eine ganzheitliche Betrachtung von Safety und Security einen Schutz von Mensch und Maschine gewährleisten kann. Je früher Safety- und Security-Aspekte berücksichtigt werden, desto einfacher ist die Umsetzung und umso besser lassen sich Sicherheit und Produktivität in Einklang bringen. Bei Pilz ist der Dreiklang Security, Automation und Safety ganz klar verankert.
Susanne Kunschert: Auf der SPS in Nürnberg haben wir unseren Kunden gezeigt, wie wir diesen Wandel gemeinsam gestalten, zum Beispiel mithilfe unseres Identification and Access Management, kurz I.A.M. Es liefert Antworten auf die Frage, wer über welche Berechtigungen an einer Maschine oder Anlage verfügt. Auf der Messe stellen wir unser umfassendes Angebot in diesem Bereich vor: Von der Authentifizierung von Nutzern über die Betriebsartenwahl oder der Daten- und Netzwerksicherheit bis zum Zugangsmanagement. Damit bieten wir für die digitale Transformation Safety und Security in einem System.
Zum Abschluss wollen wir natürlich noch einen Blick auf die kommenden 75 Jahre Pilz werfen: Welchen Weg wird Pilz Ihrer Ansicht nach in den kommenden 10 Jahren einschlagen. Wie wird die Unternehmensgeschichte fortgeschrieben? Wohin geht die Entwicklung?
Susanne Kunschert: Wir haben bei Pilz Neugier, die uns antreibt, die Freude an Innovation, verbunden mit unserem steten Tun. Unsere Mitarbeiter mit ihrer Resilienz und ihren Werten, die uns weltweit verbinden, ergeben unsere Unternehmenskultur. Das alles hat uns dahin gebracht, wo wir heute stehen, und wird uns in eine gute Zukunft führen.
Thomas Pilz: Pilz wird weiter bestehen, weil sich das Unternehmen weiter wandeln wird. Im Ist zu verharren, ist für jede Organisation, für jeden Organismus nicht möglich. Das heißt, wir werden weiter an den technischen Herausforderungen arbeiten und die Chancen nutzen, die sich uns bieten. Das Feld der sicheren Automation verlangt derzeit sehr viel Wandlungsfähigkeit von allen Marktteilnehmern. Wir sind gespannt, wo Pilz beim 100-jährigen Bestehen steht. Da werden wir, meine Schwester und ich, dann beide als Rentner auf die nächste Generation blicken dürfen.