Automatisierung

35 Jahre PNO: Ein Interview über die Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft von Profibus und Profinet

10.12.2024 - Im Gespräch: Peter Wenzel, Geschäftsführer der Profibus Nutzerorganisation (PNO)

Als die Profibus Nutzerorganisation (PNO) im Dezember 1989 gegründet wurde, hat sich keines der Gründungsmitglieder vorstellen können, welchen Erfolg Profibus haben würde. 2001 folgte die Einführung von Profinet. Heute sind beide Standards in der Automatisierung gesetzt. Doch die Entwicklung geht weiter, denn in den vergangenen Jahren sind unter anderem die Security-Anforderungen gestiegen.


Die Profibus Nutzerorganisation wurde am 11. Dezember 1989 gegründet. Mit welchem Ziel, welcher Idee wurde die PNO vor 35 Jahren ins Leben gerufen?

Peter Wenzel: Der Gründung der PNO ging eine Initiative der Bundesregierung voraus, die seinerzeit die Stärkung der Informationstechnik in Deutschland zum Zweck hatte und in deren Rahmen das öffentlich geförderte Projekt „Feldbus“ gestartet wurde. Ziel war es, ein offenes und standardisiertes, herstellerübergreifendes Kommunikationssystems bereitzustellen – und die erste Version von Profibus entstand. Aufgrund des Erfolgs haben führende Unternehmen und Forschungs­institute mit der Unterstützung durch den ZVEI die PNO gegründet, um eine langfristige Fortentwicklung, Normung und internationale Verbreitung von Profibus zu sichern.

Wie nah sind Sie diesem Ziel gekommen respektive haben Sie dieses erreicht?

Peter Wenzel: Dieses Ziel wurde in einem noch viel stärkeren Maße erreicht, als es sich die Gründungsmitglieder zu Beginn hätten vorstellen können. Noch heute ist Profibus Weltmarkführer bei den klassischen Feldbussystemen. Dies ist der beharrlichen Fortentwicklung auf Basis von Anforderungen der Anwender zu verdanken. Die PNO hat mit dem Trend zu Ethernet in der Automatisierung auch nach zehn Jahren Profibus mit der Einführung von Profinet im Jahr 2001 einen Paradigmenwechsel zum Vorteil der Hersteller und Anwender vollzogen. Dies war ein wichtiger Schritt in Richtung vertikale Kommunikation, welche wiederum die Voraussetzung für eine effiziente Digitalisierung ist. Zur Integration von Intelligenz in Sensoren der Fertigungsautomatisierung wurde in der PNO IO-Link entwickelt, ein offenes Kommunikationssystem, das bis heute keinen Wettbewerber hat. Sowohl Profinet als auch IO-Link sind auf dem Weltmarkt führend, was nicht nur durch die notarielle Erfassung der Knotenzahlen durch die PNO, sondern auch durch andere Markterhebungen belegt wird.

Gibt es besondere Projekte respektive Erfolge, auf die Sie besonders gerne zurückblicken?

Peter Wenzel: Es gibt eine Reihe von überaus wichtigen Technologie- und Marketing-Projekten, die den langjährigen Erfolg zementiert haben. Zum einen sind hier bezüglich der Anwendungsfelder drei wichtige Meilensteine zu erwähnen. Dazu gehört unter anderem die Einführung des Profils für PA-Devices, so dass Profibus und Profinet auch in der Prozessautomatisierung Fuß fassen konnten. Zudem sei hier die Erweiterung der Kommunikation um Features wie die sogenannten DP-V2-Funktionen bei Profibus und IRT bei Profinet zu erwähnen, die den Einsatz in Motion Control ermöglichen – gepaart mit der Spezifikation des Profils Profidrive, in dem die Funktionen von Antrieben standardisiert wurden. Nicht zuletzt haben Profibus und Profinet mit der Festlegung von Profisafe auch die industriellen Anforderungen an Safety erfüllt. Ausschlaggebend für die weltweite Verbreitung war zum einen die Etablierung von schlagkräftigen Marketing-Arbeitskreisen in der PNO und die Entscheidung für die Gründung von regionalen Organisationen auf allen Kontinenten, die das Marketing auf regionale Bedürfnisse optimal ausrichten können.

Welche Herausforderungen hat die PNO in den vergangenen Jahrzehnten bewältigen müssten?

Peter Wenzel: Profibus und Profinet sind die einzigen Kommunikationssysteme, die von Beginn an das gesamte Spektrum der industriellen Automatisierung abdecken. Die Herausforderung hierbei war und ist, die sehr unterschiedlichen Anforderungen „unter einen Hut zu bringen“. Also ein Kommunikationssystem auf die Beine zu stellen, das schlank genug ist, um es in Produkten umzusetzen und gleichzeitig den Anforderungen der unterschiedlichen Anwendungsfelder Rechnung trägt. Eine besondere Herausforderung mit der Einführung von Profinet war, die Hersteller, welche zu dem Zeitpunkt steigende Umsätze mit Profibus-Produkten aufweisen konnten, von dem zusätzlichen langfristigen Nutzen durch die Integration von Profinet in deren Produkte zu überzeugen. Eine derzeit aktuelle Herausforderung ist, den in den vergangenen Jahren schnell gewachsenen Security-Anforderungen nachzukommen. 

Wie hat sich die Profibus- respektive Feldbus-Technologie seit ihrer Einführung weiterentwickelt?

Peter Wenzel: Die Entwicklung der Feldbus-Technologie ist seit spätestens Mitte der 2000er abgeschlossen. Die Spezifikationen sind stabil und befinden sich in der Maintenance-Phase. Dies gilt auch für Profibus. Mit dem Jahr 2015 stiegen die Produktverkäufe nicht mehr so stark an. Dafür nahmen die Verkaufszahlen von Profinet an Fahrt auf, sodass erstmals mehr Profinet- als Profibus-Produkte in den Markt gebracht wurden.

Inwieweit hat sich die Mitgliederstruktur seit dem Gründungsjahr verändert?

Peter Wenzel: Die Mitgliederzahlen in der PNO, aber auch weltweit in den regionalen Organisationen stiegen im Verlauf der vergangenen Jahrzehnte kontinuierlich an. Kurzfristige Ausnahme bildete die Finanzkrise im Jahr 2008, in der kein Anstieg stattgefunden hat. 

Durch welche Merkmale stechen Profinet/Profibus im Vergleich zu anderen Bussystemen oder Kommunikationstechnologien hervor?  

Peter Wenzel: Profibus und Profinet sind die einzigen Kommunikationssysteme, die technologisch gesehen das gesamte Spektrum der industriellen Automatisierung – von der Fertigungsautomatisierung bis hin zur Prozessautomatisierung sowie Motion-Control-Anwendungen inklusive Safety – abdecken. Der Erfolg kommt aber auch davon, dass die PNO mit der Etablierung von Competence Centern, Trainings Centern und Testlaboren, auf die jeweilige Region ausgerichtete Services rund um die Implementierung und Anwendung der Technologien, eine qualitative Ausbildung von Personal  und Qualitätssicherung von Produkten anbietet.

Welche Maßnahmen ergreifen Sie, um die Interoperabilität zwischen verschiedenen Herstellern zu gewährleisten? 

Peter Wenzel: Das tragende Mittel zur Gewährleitung der Interoperabilität von Produkten unterschiedlicher Hersteller ist das etablierte Zertifizierungswesen, zu dem ein Committee mit einer Reihe von Arbeitskreiseng gehört, die auf Basis von im Marketing abgestimmten Anforderungen in Testspezifikationen umsetzen. Ferner tragen durch Expertenkreise gesteuerte Implementierung von Testtools und zugelassene Testlabore, die die Produkte unter Verwendung von zugelassenen Testtools auf Einhaltung der Spezifikationen prüfen, maßgeblich zur Qualitätssicherung bei. Die Zertifizierungsstelle stellt dann auf Basis von positiven Testreports Zertifikate aus. Dieses wird durch die regelmäßige Durchführung von Plugfests flankiert, in denen interessierte Hersteller die Qualität ihrer prototypischen Produktentwicklungen in einem System mit den Entwicklungen anderer Hersteller und unter Zuhilfenahme der zugelassenen Testtools ausloten können.

Inwieweit beeinflussen Trends wie Digitalisierung oder KI Ihre Technologien?

Peter Wenzel: Das Maß für eine umfassende Realisierung von Industrie 4.0 hängt aber direkt mit den beiden Faktoren konsequente Digitalisierung sowie standardisierter horizontaler und vertikaler Daten- beziehungsweise Informationsaustausch zusammen. Als Basis hierfür stellt die PNO mit Profinet eine robuste echtzeitfähige Kommunikationstechnologie für die OT und eine leistungsfähige sichere Plattform für die vertikale Kommunikation für den Datenaustausch mit der Produktionssteuerung bis hin zu Cloud-Diensten zur Verfügung. Eine tragende Rolle spielen hier standardisierte Datenformate. So war es für PI folgerichtig, diese Aspekte in Kooperation mit der OPC Foundation entstehen zu lassen. Bezüglich des Kommunikationskanals haben die Experten mit der Entscheidung, OPC UA als koexistenten Kanal in Profinet-Netzen zuzulassen, schon vor Jahren ein hohes Maß an Weitsicht bewiesen. So musste lediglich an ebenenübergreifenden Datenformaten gearbeitet werden. Hierbei entstanden eine Reihe von Companion Standards, in denen offene Informationsmodelle spezifiziert sind. KI benötigt zahlreiche Daten, um entsprechende Aufgaben erfüllen zu können. Profinet und das unterlagerte IO-Link bilden eine geeignete Infrastruktur und Funktionalität, um die geforderten Daten bereitzustellen. 

Und welche Rolle spielt die Robotik (Stichwort SRCI-Standard Robot Command Interface)?

Peter Wenzel: Eine hoch automatisierte Produktion ist ohne Robotik nicht möglich. Roboter werden jedoch zur Durchführung von Produktionsschritten durch SPSen oder IPCs gesteuert. Mit SRCI wurde eine offene Schnittstelle mit standardisierten Kommandos bereitgestellt, so dass Roboter beliebiger Hersteller durch Controller beliebiger Anbieter ohne umfangreiche Programmierarbeiten gezielt gesteuert werden können. 

Welche weiteren Trends sehen Sie in der industriellen Vernetzung und wie wird die PNO diesen gerecht? 

Peter Wenzel: Das durch die Digitalisierung veränderte Umfeld hat die Ausrichtung der PNO bezüglich der technologischen Entwicklungen entscheidend verändert. Der starke Fokus auf die Kommunikationsthematik ist zum einen zugunsten einer erhöhten thematischen Breite gewichen, die sich zusätzlich zur Kommunikationssicht sowohl auf unterschiedliche Anwendungsaspekte bezieht als auch eine ebenenübergreifende Sichtweise einnimmt. So hat die PNO die Chance wahrgenommen, mit Omlox, das Hosting einer Ortungstechnologie für Indoor-Anwendungen zu übernehmen, die die Effizienz der industriellen Produktion steigern hilft. Die Spezifikationen stehen zur Verfügung, ein Zertifizierungswesen ist etabliert und erste Produkte sind auf dem Markt verfügbar. Die Steigerung der Flexibilität von komplexen Produktionsanlagen bei Umstellung von Produkten kann durch einen modularen Aufbau der Produktionsanlage gesteigert werden, da dadurch der Engineering-Aufwand erheblich sinkt. Der Lösungsansatz MTP (Module Type Package) stellt hierfür die notwendige technologische Grundlage bereit. Mit MTP kann eine Anlage bestehend aus standardisierten Schnittstellenelementen und deren semantischer Beschreibung modular aufgebaut werden. MTPs enthalten eine herstellerneutrale, funktionale Beschreibung, mit der sich Prozessmodule in die Orchestrierungsebene integrieren lassen. Die Digitalisierung lebt von einer effizienten und sicheren vertikalen Kommunikation, die die Automatisierungsprozesse nicht beeinflusst. Innovationen wie IoT, Industrie 4.0 und Cloud Computing benötigen ein hohes Maß an Digitalisierung. Um die hierbei benötigte strukturierte Konvergenz von IT- und OT-Systemen zu ermöglichen, wurden durch die Namur und den ZVEI Anforderungen an NOA (Namur Open Architecture) aufgestellt. Das Ziel ist, mit NOA einen standardisierten Kanal für die Übertragung benötigter digitaler Daten auf einem parallelen zweiten Kanal aus dem Feld zu Zwecken der Prozessoptimierung und vorausschauender Wartung bereitzustellen. Die Namur und der ZVEI haben die PNO als Host für die Weiterentwicklung von MTP und NOA ausgewählt.

Inwieweit erfüllt die PNO die Forderungen nach einer sicheren Kommunikation? 

Peter Wenzel: Security spielt in der Ethernet-basierten Kommunikation eine zunehmend wichtigere Rolle und wird zu einem strategischen Faktor in der Produktentwicklung in den Unternehmen. Die PNO hat entsprechende Aktivitäten in den Arbeitskreisen initiiert. Zum einen wurden entsprechende Erweiterungen in der Profinet-Spezifikation umgesetzt. Zudem ist PI dabei, den Zertifizierungstest für Profinet um Profinet-Security-Testszenarien (inklusive der Sicherheitsklassen) zu erweitern. Die ersten Testfälle sind bereits in der aktuellen Version integriert. Die Profinet-Security-Experten arbeiten auch eng mit dem TÜV zusammen, um die Konformität mit der IEC 62443-4-2 zu gewährleisten soweit die Protokollspezifikation solche Funktionen bereitstellen kann.

Welche Rolle werden Profibus und Profinet zukünftig in der Welt der industriellen Automatisierung spielen?

Peter Wenzel: Profibus hat sich in vielen Anlagen bewährt und ist bei Automatisierern bestens bekannt. Trotz des Alters sind auch Neuentwicklungen zu sehen, die darauf hinweisen, dass Profibus weiterhin im Einsatz bleiben wird. Die Verfügbarkeit der entsprechenden Basistechnologie wird in den nächsten Jahren entscheidend sein.Die Zukunft der industriellen Automatisierung wird jedoch zweifellos von Profinet geprägt sein. Die heute verfügbare Technologie bietet bereits vielfältige Eigenschaften, um sowohl die eigentliche Automatisierungsaufgabe, zum Beispiel in Bezug auf Echtzeitfähigkeit, als auch die vertikale Kommunikation, beispielsweise über die Companion Specs, zu unterstützen. Diese Möglichkeiten werden wir, wie langjährig geübt, kontinuierlich nach Verfügbarkeit neuer Technologien (z. B. SPE/APL, TSN) und – noch wichtiger – entsprechend den Anforderungen unserer Kunden erweitern. Unser Ziel ist es, die Digitalisierung der Automatisierung konkret und möglichst einfach handhabbar zu gestalten. Wir unterstützen als erste Kommunikationstechnologie den Anschluss an virtuelle SPS (vPLCs) inklusive Safety und sind offen für Erweiterungen bei der vertikalen Kommunikation mit weiteren gängigen Protokollen. Zudem sorgen wir für eine Durchgängigkeit unserer Technologien im Portfolio, von IO-Link bis hin zu MTP/NOA. (agry)

Kontakt

Profibus Nutzerorganisation

Ohiostraße 8
76149 Karlsruhe
Deutschland

+49 721 986 197 0

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