Bildverarbeitung

3D-Handscanner erfasst Form und Farbe zugleich

01.03.2023 -  Digitalen Zwilling von komplexen Objekten erstellen

Ein hochauflösender Handscanner erfasst Form-, Farb- und Texturinformationen der gesamten Oberfläche von komplexen Objekten. Damit erzeugt er 3D-Modelle für die detailgetreue Visualisierung und Inspektion. Gerade beim Wareneingangsprüfen oder der industriellen Qualitätssicherung lassen sich die Prozesse damit verbessern.

Das Erfassen der Oberflächengeometrie komplexer Objekte, um deren Eigenschaften zu visualisieren und zu analysieren, gewinnt in zahlreichen Anwendungsbereichen wie der industriellen Produktion, der Medizin, in Wissenschaft und Forschung bis hin zur Tourismusbranche eine immer größere Bedeutung. Denn CAD-Modelle bieten oft keine realistische Darstellungsmöglichkeit der Objekt­oberfläche, und wirklichkeitsgetreue Farb- und Texturinformationen können häufig nur aus hochauflösenden Fotos gewonnen werden. Bei der Warenein- und ausgangsprüfung oder in Inspektionsaufgaben an Industrieanlagen kann die Sicherung eines digitalen Zwillings allerdings wichtige Informationen etwa bei kritischen Rückfragen liefern.

in vollständiges 3D-Modell inklusive hochaufgelöster Farb- und Texturinformation eines Objektes ist das Ziel des kompletten 3D-Scannens. Diese Aufgabe birgt mehrere Herausforderungen: Zunächst erfordert eine hochqualitative 3D-Erfassung zahlreiche hochaufgelöste Einzelaufnahmen in guter Bildqualität. Die entsprechende Verarbeitung ist typischerweise sehr zeitintensiv. Weitere Herausforderungen sind das robuste Erkennen von Ausreißern und die automatische Korrektur von Positions- und Skalierfehlern. Der mobile Handscanner Goscout 3D löst diese Herausforderungen und eignet sich durch seine Eigenschaften insbesondere für die 3D-Visualisierung und Dokumentation von Objekten, das Erstellen digitaler Zwillinge und das Bereitstellen von Input-Daten für Augmented-Reality-Anwendungen.

Das mobile Scansystem

Der am Fraunhofer IOF entwickelte 3D-Handscanner Goscout 3D beruht auf dem passiven fotogrammetrischen Messprinzip und besteht aus einer hochauflösenden Farbkamera, einem Ringlicht, einer Inertial-Messeinheit (IMU) und einem 5,5-Zoll-Touchscreen. Die Stromversorgung erfolgt über Akkus, die zusammen mit der Steuereinheit in einer separaten Umhängetasche untergebracht sind. Das Gewicht des Scanner-Kopfes liegt bei etwa 1,3 kg. Bei der Standard-Mess­entfernung von einem Meter beträgt das Bildfeld ungefähr einen Quadratmeter. Die Farbkamera besitzt einen 20-Megapixel-Chip und erreicht somit eine Messpunktauflösung im Objektraum von circa 0,2 mm. Der Akku ermöglicht einen mehrstündigen Betrieb.

Datenerfassung

  • Die Farbkamera erfasst sechs Bilder pro Sekunde, wobei die Aufnahmen aufgrund der geringen Belichtungszeit von typischerweise 2,5 ms bei kontinuierlicher Scanner-Bewegung erfolgen.
  • Die IMU erzeugt Positions- und Orientierungsdaten des Scanners mit circa 150 Hz.
  • Mithilfe von Zeitstempeln können jedem Bild die zeitlich nächsten IMU-Daten zugeordnet werden.
  • Üblicherweise beleuchtet ein Ringlicht die Szene.
  • Es werden Scan-Geschwindigkeiten von bis zu 6 m² Objektoberfläche pro Minute erreicht.
  • Es können weit über eintausend Bilder aufgenommen und verarbeitet werden.
  • Nach vollständiger Rundum-Objekterfassung wird das 3D-Modell des gescannten Objektes automatisch auf Basis einer fotogrammetrischen Berechnung generiert.

Im ersten Schritt werden Lage und Ausrichtung jeder Kameraposition mit der kommerziellen Software Agisoft [1] bestimmt. Durch einen paarweisen Vergleich der Bildinhalte werden Kamerapositionen zunächst erstmalig geschätzt. Dieser Schritt erfordert bei komplexen Messobjekten und entsprechend vielen Bildern eine lange Rechenzeit. Die IMU-Daten ermöglichen es allerdings, diesen Arbeitsschritt um die Hälfte zu reduzieren. Dadurch werden nur Bilder in ähnlichen Positionen für den Vergleich der Bildinhalte ausgewählt. Um die Orientierung zwischen zwei Bildern zu bestimmen, werden in beiden Bildern sogenannte „Feature Points“ bestimmt. Die 3D-Punkte werden dann über das bekannte fotogrammetrische Prinzip der Triangulation [2] berechnet.

Um Messfehler zu verringern, wird das Prinzip Multi-View Stereo angewendet. Dabei werden bis zu 16 benachbarte Bilder für die 3D-Punktberechnung verwendet und in einer 3D-Tiefenkarte pro Bild gespeichert. Die vorhandenen Werte können dadurch gemittelt und Ausreißer eliminiert werden.

Die Berechnungszeit hängt von der Anzahl der aufgenommenen Bilder ab und beträgt im Standardmodus circa 20 min pro 1.000 Bilder auf einer Workstation. Im Vorschaumodus ist eine schnellere Berechnung möglich.

Das 3D-Modell besteht am Ende aus einem 3D-Mesh mit hochaufgelöster Farbtextur sowie den örtlich zugeordneten Farbbildern. Der Detailgrad ermöglicht das Erkennen von kleinen Anbauteilen, Defekten, etc. und das Zuordnen zur betreffenden Stelle am Gesamtobjekt. Die erfassten Objekte lassen sich dann direkt auf dem auch zur Steuerung des Scanners verwendeten Touchscreen oder auf externen Geräten darstellen. 

Evaluierung und Messbeispiele

In einem ersten Schritt wurden Experimente durchgeführt, um die zu erwartende Messgenauigkeit zu bestimmen. Hierfür wurde ein kalibrierter, 1 Meter langer Kugelstab verwendet. Die Messgenauigkeit hängt primär von der Genauigkeit der IMU-Daten ab. Die Auswertung der Ergebnisse von zehn unabhängigen Messungen ergab einen Skalierfehler von knapp 2 Prozent als Standardabweichung der Längenmessung. Durch Hinzufügen eines bekannten Längenmaß­stabes in die Messszene lässt sich der Skalierfehler reduzieren. Der zufällige Fehler eines einzelnen 3D-Messpunktes (Messrauschen) betrug je nach Farbe und Struktur zwischen 0,06 und 0,30 mm.

Es wurden sehr unterschiedliche Objekte von Maschinen, Fahrzeugen und Fahrzeugteilen, über Möbelstücke bis hin zu biologischen Objekten (Pflanzen und ausgestopfte Tiere) gescannt und die 3D-Modelle erstellt. Je nach Komplexität des Messobjektes und der Anzahl aufgenommener Bilder ergaben sich Rechenzeiten bis zum Vorliegen des vollständigen 3D-Modells von wenigen Minuten bis zu einer Stunde.

Der Goscout-3D-Handscanner ermöglicht es dem Anwender, die Oberfläche komplexer Objekte detailgenau in Farbe und Textur sowie geometrisch maßstabsgetreu zu erfassen und die entstandenen 3D-Modelle je nach Anforderung zu analysieren, zu dokumentieren beziehungsweise zu Darstellungszwecken zu nutzen. So lassen sich zum Beispiel die Objektmodelle vor und nach einer Nutzung dokumentieren und diese miteinander vergleichen, etwa um mögliche Bereiche für Reparaturen zu identifizieren, oder um Wartungsprozesse effizient durchzuführen.

Zusammenfassung 

Mit dem tragbaren Goscout-3D-Scanner können Anwender die Oberfläche komplexer Objekte mit hoher Auflösung und Genauigkeit dreidimensional erfassen. Zusätzlich registriert das System Farb- und Texturinformationen und ordnet sie in einem 3D-Modell punktgenau der entsprechenden 3D-Koordinate zu. Grundlage für die robuste 3D-Digitalisierung sind die Messprinzipien der fotogrammetrischen Rekonstruktion mittels einer hochauflösenden Farbkamera und der simultanen Lokalisierung durch eine Inertial-Messeinheit. Der Ablauf von der Bildaufnahme bis zum kompletten Farb- beziehungsweise texturierten 3D-Modell ist voll automatisiert. Der Anwender erhält damit ein flexibles 3D-Sensorsystem, das viele Möglichkeiten der Digitalisierung und Dokumentation von Objekten bietet. ¢

Literatur
[1] Agisoft Metashape https://www.agisoft.com
[2] Luhmann, T.; Robson, S.; Kyle, S.; Harley, I.: Close Range Photogrammetry; Wiley Whittles Publishing: Caithness, UK, 2006.

Autoren
Christian Bräuer-Burchardt, Marc Preißler, Roland Ramm, Stefan Heist, Peter Kühmstedt, Gunther Notni (TU Ilmenau), alle vom Fraunhofer IOF in Jena

Kontakt

Fraunhofer Inst. f. Angew. Optik u. Feinmechanik IOF

Albert-Einstein-Str. 7
07745 Jena
Deutschland

03641/807-0
03641/807-600

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