Vom Maker-PC zum Industriecomputer: Der Raspberry Pi im industriellen Einsatz
19.01.2021 - Ist der als Tüftler-PC und Experimentier-Plattform bekannte Raspberry PI mit ihrem Billig-Image im Vergleich zu hochwertigen Standard-Industrie-PCs tatsächlich auch im Profibereich konkurrenzfähig? Schließlich sind die Anforderungen im industriellen Einsatz hinsichtlich Leistungsfähigkeit, Zuverlässigkeit und Langzeitverfügbarkeit dort um ein Vielfaches höher als im Uni-Labor oder Bastelkeller.
Ein industrietaugliches Raspberry Pi Starterkit von Kontron beantwortet jetzt diese Frage.
Warum ist der Raspberry Pi bei Makern und Profis so beliebt? Eine Umfrage von Farnell und Reichelt Elektronik beantwortet die Frage klar: Es ist die Vielseitigkeit des Minicomputers. Profis nutzen den Single-Board-Computer für Prototyping- und Proof-of-Concept-Arbeiten in IoT und industriellen Automatisierungs- und Steuerungsanwendungen. Auch Prüfstände, Testsysteme und Produktionsanwendungen werden mit dem Raspberry Pi betrieben. Professionelle Entwickler sind von der Benutzerfreundlichkeit des Raspberry Pi überzeugt.
Die Erfahrungen von Kontron Electronics, der früheren Exceet Electronics aus dem österreichischen Ebbs und heute Teil der Kontron und S&T Gruppe, bestätigen die Ergebnisse der beiden Umfragen. So scheint der Aufstieg des Raspberry Pi tatsächlich unaufhaltsam. Das hat zwar weniger mit der technologischen Einzigartigkeit zu tun, als vielmehr damit, dass er bei Berufseinsteigern bekannt und erprobt ist. Günstige Einstiegsprodukte sind an Schulen und Universitäten zu Lehrzwecken naturgemäß beliebt. Im späteren Job kann man dann die Erfahrungen aus der Ausbildung nutzen und setzt gerne auf Altbekanntes.
Das sind auch die Erkenntnisse, die Kontron Electronics in fast fünf Jahren ziehen konnte: Von Kunden gelieferte Designs beruhen immer häufiger auf Prototypen auf Basis von Raspberry Pi. Ingenieure und Entwickler auf Kundenseite sind auf der Plattform ausgebildet und kommen schnell zu Ergebnissen. Diese werden vermehrt auf kostengünstigen Plattformen wie Raspberry Pi, Arduino oder Beagle Board geliefert; wobei Raspberry Pi den Löwenanteil einnimmt. An der Entwicklung ist auch Kontron Electronics selbst nicht ganz unschuldig, denn für Bachelor- und Masterarbeiten, die das Unternehmen unterstützt, wird häufig auch Raspberry Pi verwendet.
Raspberry auf Kunden- und Entwicklerseite gefordert
Kontron Electronics verfügt über langjährige Erfahrung darin, für Kundenanforderungen die passende Embedded Plattform auszuwählen bzw. einen Designentwurf zur Serienreife zu bringen. Dies führte oft dazu, dass komplette Designs, die auf Basis von Raspberry Pi entstanden waren, hard- und softwareseitig von Grund auf neu entwickelt werden mussten, um einer Industrie-Prozessor- und Board-Plattform für die Serienfertigung zu genügen. Der finanzielle und zeitliche Aufwand für Kunden war entsprechend hoch, die Markteinführungszeiten der Produkte, vom ersten Design bis zur serienreifen Plattform, entsprechend lang. Für Kontron Electronics war das Grund genug, sich zu engagieren, Raspberry Pi als Alternative oder vielmehr als Ergänzung zu Standard-Industrie-Plattformen zu etablieren. Denn in den Umfragen wurde auch deutlich, dass fast jeder zweite Entwickler den Raspberry Pi verwendet. Dieser Zielgruppe kommt Kontron mit dem Raspberry Pi Starterkit nun entgegen.
Mittlerweile hat Kontron Electronics die ersten kommerziellen Projekte auf Basis von Raspberry Pi abgeschlossen und kann eine erste Bilanz ziehen. Nicht unerwartet, aber oftmals entgegen der Hoffnungen, steht die Erfahrung, dass der günstige Ausgangspreis für die Plattform nicht den Preis für ein serienreifes Produkt im industriellen Einsatz widerspiegelt. Es zeigt sich, dass auch für Prototypen auf Basis von Raspberry Pi Beratung bei der Umsetzung in ein serienreifes Industrieprodukt notwendig ist. Die daraus entstehende Industrieplattform ist in manchen Fällen nicht günstiger als eine standardisierte Embedded Plattform. Kontron Electronics kann sogar auf Einsatzfälle verweisen bei denen sich nach der Beratungsphase zeigte, dass industrielle Standardprodukte für den Serieneinsatz in Summe günstiger waren.
Der Preis ist nicht alles
Oftmals ist aber der Preis nicht das einzig ausschlaggebende Argument: Was bei Raspberry mindestens genauso wichtig ist, ist die Einfachheit der Software-Handhabung. Denn das Raspberry Betriebssystem Raspian OS auf Basis von Linux ist sehr einfach zu verwenden, beispielsweise lassen sich Software-Pakete leicht nachinstallieren, was Zeit spart. Embedded Linux etwa ist deutlich schwerer und aufwendiger zu installieren und zu administrieren. Auch hier liegt der Grund für die Einfachheit darin, dass der Raspberry ursprünglich nur für den Einsatz in Forschung und Lehre gedacht war.
Damit ist auch ein weiterer Grund gegeben, der oft für den Einsatz von Raspberry spricht: der verfügbare Support durch eine weltweite Community von Fans und Spezialisten, wie sie kein kommerziell orientiertes Unternehmen anbieten kann. Insbesondere dadurch, dass sich viele Schüler, Studenten und junge „Maker“ für Raspberry engagieren, ist Offenheit und Hilfsbereitschaft, wie in Social Networks, sehr stark ausgeprägt, davon können auch Unternehmen profitieren. Man spricht sogar davon, dass Raspberry die größte Linux-Support-Community weltweit hat.
Raus aus der Tüftlerecke dank Support und Community
Die Größe der Community zeigt noch einen weiteren Vorteil: insgesamt wurde die Raspberry Plattform rund 18 Millionen Mal verkauft (Stand Anfang 2018). Auf eine vergleichbar große Nutzerbasis kommt kein Standard-Industrie-PC; eine höhere Testabdeckung ist praktisch nicht möglich, dementsprechend ausgereift ist die Plattform, weshalb das „Bastler“-Image nicht so zutreffend ist, wie es oft behauptet wird.
Die Open-Source-Basis des Betriebssystems und vieler Anwendungen dagegen sind nur von eingeschränktem Vorteil für industrielle Anwender. Zwar sind viele Anwendungen unter einer freien Lizenz verfügbar, doch ggf. angepasster Source Code muss auch wieder unter der freien Lizenz veröffentlicht werden. Damit tun sich viele kommerzielle Unternehmen natürlich schwer, wenn „ihre Software“ wieder kostenlos jedermann verfügbar gemacht werden muss. Nicht viel anders sieht es aus, wenn nur einzelne Module aus bestehenden Applikationen verwendet werden, üblicherweise müssen auch daraus abgeleitet Programme wieder unter freier Lizenz veröffentlicht werden. Wer aber nicht auf Linux angewiesen ist, kann auch Windows IoT Core auf der Plattform betreiben.
Nachteile sind da
Dennoch gibt es im industriellen Umfeld für den Einsatz von Raspberry Pi auch Nachteile, die nicht unerwähnt bleiben sollten. Einer ist die fehlende Standardisierung, verglichen mit Standards wie SMARC, COM Express oder Qseven. Zudem wird der Raspberry nur von der Raspberry Foundation bzw. ihren Distributoren vermarktet. Deshalb gibt es keine Variantenvielfalt, z.B. in punkto Leistung, Stromaufnahme oder Ausstattung.
Es sind derzeit nur zwei Prozessorgenerationen als Compute Modules verfügbar: Das Compute Module 1 aus dem Jahr 2014 und das Compute Module 3, das Anfang 2017 vorgestellt wurde. Eine Prozessorauswahl, wie sie etwa Intel, AMD oder NXP für unterschiedliche Anwendungszwecke anbieten, gibt es von Raspberry nicht. Dafür gibt es für das neue CM3+ Compute Modul sogar eine garantierte Langzeitverfügbarkeit von sieben Jahren.
Diese Nachteile zeigen auch, warum eine generelle Aussage, für welche Anwendungen oder Branchen der Raspberry geeignet ist, nicht zu treffen ist. Es hängt immer vom jeweiligen Einsatzzweck ab. Unternehmen wie Kontron Electronics bieten daher ein „Industrial Starterkit“ an, auf dessen Basis sich sehr schnell ermitteln lässt, ob das Raspberry Compute Module den Anforderungen entspricht. Das Starterkit verfügt über alle in der Industrie verbreiteten Schnittstellen, wie Ethernet, CAN-Bus, 1-Wire und RS485/RS232. Das erprobte Schaltungsdesign und der industriell übliche Stromanschluss mit 24 Volt sorgen für eine zuverlässige Einsatzfähigkeit. Weitere industrielle analoge und digitale I/Os erlauben die Integration in vorgegebene Anwendungen. Auf der Basis des Starterkit lässt sich damit der Weg zum Prototyp und anschließend zum fertigen Produkt deutlich verkürzen.
Anwendungsbeispiel Krankenhaus
Kontron Electronics entwickelte gemeinsam mit einem Kunden eine mobile Lösung zur kontinuierlichen Echtzeiterfassung der Vitaldaten bettlägeriger Patienten. Berührungslos und unsichtbar unter dem Krankenhausbett untergebracht, misst eine Box Vitaldaten und zeichnet sie auf und alarmiert bei gravierenden Abweichungen Schwestern und Ärzte. Für die Aufzeichnung von Herz- und Atemfrequenz sowie Daten zur Dekubitus- und Sturzprophylaxe ist kein direkter Patientenkontakt erforderlich. Durch den Akkubetrieb lässt sich die Box einfach unter jedem Bett installieren.
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