Texturanalyse auf Bauteilen mit komplexer Oberflächenstrukturverteilung
24.08.2017 -
In der Qualitätsprüfung von Oberflächen gewinnt die adaptive Texturanalyse immer mehr an Bedeutung, da Defekte relativ zur dominierenden Struktur der Oberfläche detektiert werden können. Will man die adaptive Texturanalyse auf Bauteilen mit verschiedenen, geometrisch komplex verteilten Oberflächenstrukturen anwenden, müssen Masken erstellt werden, welche die jeweilige Oberflächenstruktur korrekt überlagern. Das Fraunhofer IPA hat ein Konzept entwickelt, dass den aufwändigen Prozess der Maskenerstellung halbautomatisch durchführt, und somit eine schnelle Einstellung einer solchen Prüfung ermöglicht.
Kleinste Defekte wie Schlagstellen oder Kratzer an Oberflächen können die Funktion eines Bauteils gefährden, es unbrauchbar machen oder ästhetisch verunstalten. Daher ist in der Industrie vermehrt eine 100%-Kontrolle gefordert, um Defekte dieser Art prozesssicher und robust zu detektieren.
Bei vielen Fertigungsprozessen wie dem Drehen und Fräsen entstehen auf dem Bauteil fertigungsspezifische Muster. Für eine automatisierte Prüfung solcher Bauteile muss die digitale Bildverarbeitung in der Lage sein, Defekte auf Oberflächen mit unbekannten Mustern zu detektieren. Befinden sich auf dem Bauteil verschiedene Oberflächenstrukturen, die eine geometrisch komplexe Verteilung aufweisen (Abb. 1), werden Masken für die Prüfung dieser Oberflächen benötigt. Um solche Masken zu erstellen, wurde am Fraunhofer IPA ein Konzept entwickelt, das diesen Ablauf halbautomatisiert durchführt. Eine mögliche Anwendung findet das Konzept auf allen Bauteilen mit verschiedenen Oberflächenstrukturen und/oder Materialen. Sowohl für eine funktionelle als auch eine ästhetische Prüfung.
Sehen und prüfen wie der Mensch
Als Vorbild einer Defekterkennung auf Texturen dient die menschliche Fähigkeit, Fehler und Unregelmäßigkeiten schnell zu erkennen, ohne dass die Art der Oberfläche bekannt ist. Am Fraunhofer IPA wurde daher ein Prüfkonzept entwickelt, welches sich an dieser menschlichen Fähigkeit orientiert. Voraussetzung für eine erfolgreiche Defekterkennung ist dabei immer, dass der Defekt nur einen kleinen Bereich der gesamten zu prüfenden Oberfläche einnimmt, sodass dieser als auffällige Abweichung vom Hintergrund wahrgenommen werden kann.
Zur Beschreibung einer Oberflächenstruktur werden Texturmodelle verwendet. Mit verschiedenen Texturmodellen können unterschiedliche Eigenschaften von Oberflächenstrukturen beschrieben werden. Bei der Analyse einer Oberfläche wird ein ausgewähltes Texturmodell herangezogen. Dann wird unter der Annahme, dass ein Defekt nur einen kleinen Teil der zu prüfenden Gesamtoberfläche einnimmt, mit den Daten der Oberflächenstruktur ein Modell trainiert, das die Eigenschaften des Hintergrundes beschreibt und lokale Störungen ausblendet. Wird nun ein Klassifikator mit dem Texturmodell trainiert und wiederum auf dieses Bild angewendet, so ist gewährleistet, dass eine Bewertung der Oberfläche auf Basis der im Prüfteil dominierenden Oberfläche stattfindet.
Im Gegensatz zur konventionellen Prüfung ergeben sich Defekte nun nicht mehr als Abweichung gegenüber einer vorgegebenen Sollstruktur, sondern als Störung der im Bild dominierenden Struktur. Ein aufwendiger Einlernprozess mit Sollstrukturen und Schwellwerten wird somit überflüssig. Schwankungen in der Oberflächenstruktur werden vom System automatisch abgefangen, da es sich für jedes Prüfteil automatisch adaptiert. Dies ermöglicht Anwendungen für die unterschiedlichsten Materialien.
Mit Hilfe des adaptiven Prüfverfahrens können auch Oberflächendefekte auf stark variierendem Untergrund geprüft werden, ohne das der Bediener Einstellungsänderungen an der Parametrierung des Prüfverfahrens vornehmen muss. Der leistungsfähige Algorithmus ermöglicht dabei eine schnelle und zuverlässige Prüfung und ist somit in Prüfsystemen mit hohem Durchsatz anwendbar.
Texturprüfung mit variabler Bildaufnahme
Neben der Anwendung auf ebenen Oberflächen, bei denen die Bildaufnahme mittels Matrixkameras und geeigneter Hellfeldbeleuchtung realisiert wird, wurde am Fraunhofer IPA ein Prüfkonzept für die Oberflächenprüfung auf rotationssymmetrischen Bauteilen entwickelt. Dabei erfolgt die Bildaufnahme über eine Hellfeld-Zeilenkamera. Durch einen Roboter (oder durch ein anderes Handhabungssystem) wird das Bauteil auf einem Drehteller platziert, der sich direkt vor der Kamera befindet. Durch Drehung des Bauteils wird die Oberfläche vollständig von der Kamera erfasst, was eine 100%-Prüfung der Mantelfläche ermöglich. Somit können auch kleine Fehlstellen, die das Werkstück unbrauchbar machen, auf rotationssymmetrischen Bauteilen detektiert werden.
Dieses Prüfsystem wurde auf der Basis des Bildverarbeitungspakets EMSIS des Fraunhofer IPA entwicklet. EMSIS beinhaltet neben der Oberflächeninspektion weitere Bildverarbeitungswerkzeuge, wie zum Beispiel die Inspektion von Innen- und Außengewinden sowie die dimensionale Messung von Längen, Durchmessern und Winkeln etc..
Bauteile mit geometrisch komplex verteilten Oberflächenstrukturen
Eine große Herausforderung bei der automatisierten Oberflächenprüfung stellt das Auftreten verschiedener Oberflächenstrukturen auf einem Prüfteil dar. Eine geometrisch komplexe Verteilung verschiedener Oberflächenstrukturen erfordert das Erstellen und die Anpassung von Masken. Eine Maske muss dabei so angepasst werden, dass sie nur den Bereich der dazugehörigen Oberflächenstruktur abbildet. Solche Masken zu erstellen und anzupassen ist in der Regel sehr zeitaufwendig und muss vom Anwender oft manuell durchgeführt werden. Das Fraunhofer IPA hat ein Konzept entwickelt, das die Erstellung dieser Masken teilautomatisiert durchführt.
Bei diesem Verfahren werden zunächst alle auf dem Prüfteil erkennbaren Texturen ermittelt und dem Bediener angeboten. Der Bediener wählt eine für die Prüfaufgabe relevante Textur aus. Die Software erstellt daraufhin die zugehörige Maske, die den jeweiligen Oberflächenstrukturbereich abdeckt. Dieses Vorgehen wird für alle gewünschten Oberflächenstrukturen wiederholt, wodurch man für jede Oberflächenstruktur eine passende Maske (Abb. 2) erhält.
Die automatisierte Segmentierung des Bildes in verschiedene Strukturbereiche ermöglicht eine schnelle Erstellung der Masken und verhindert gleichzeitig, dass kleine Bereiche, die nur wenigen Pixeln einer bestimmten Textur entsprechen, zu dieser Maske hinzugefügt werden. Dies erspart dem Anwender eine aufwendige händische Feinkorrektur der Masken.
Nach Abschluss des Erstellungsprozesses werden die Masken hinterlegt und im Prüfprozess auf die Oberflächenstrukturen des jeweils vorliegenden Prüfteils angewendet. Dies ermöglicht eine individuelle Parametrierung für die verschiedenen Oberflächenstrukturen (Abb. 3). Über einen Template-Matching-Algorithmus, oder die automatisierte Erzeugung von bauteilbezogenen Koordinatensystemen, wird im Prüfprozess sichergestellt, dass sich Masken und Prüfteil überlagern. Somit ist das Verfahren robust gegen Positionierungenauigkeiten im Prozess.
Zur mathematischen Beschreibung von Oberflächenstrukturen werden Texturmodelle benötigt, welche die individuellen Eigenschaften der vorliegenden Oberflächenstruktur adäquat und unterscheidbar zu anderen Oberflächenstrukturen beschreiben können. Beispielsweise ist ein Texturmodell, das Oberflächen mit einer stochastischen Grauwertverteilung zuverlässig beschreibt, nicht unbedingt dafür geeignet, die Eigenschaften einer strukturierten Oberflächenstruktur mit periodischen Mustern ausreichend unterscheidbar zu beschreiben. Die oben beschriebenen Prüfsysteme bieten die Möglichkeit, verschiedenste Texturmodelle zu verwenden, um somit ein breites Spektrum an Oberflächenstrukturen automatisiert prüfen zu können.
Neben der Wahl eines geeigneten Texturmodells ist die Wahl eines passenden Klassifikators für die Bewertung von Oberflächenstrukturen essentiell. Erst durch das abgestimmte Zusammenspiel von Texturmodell und Klassifikator ist eine robuste und automatisierte Bewertung der Oberflächenstruktur möglich. Das Fraunhofer IPA besitzt aufgrund diverser Forschungsarbeiten und Untersuchungen ein breites Hintergrundwissen in diesem Bereich.
So ist es möglich, maßgeschneiderte Konzeptionen und Realisierungen von anspruchsvollen Lösungen für die automatisierte Prüfung verschiedenster Oberflächenstrukturen zu entwickeln. Die automatisierte Maskenerstellung mit nachgelagerter Texturanalyse wurde bereits in der Prüfung von Kunststoffgehäusen von Elektrogeräten angewendet. Sie bietet sich für alle Anwendungsfälle an, in denen verschiedenartige Texturen auf Bauteilen auftreten, die sich nicht mit dem selben Texturmodell abbilden lassen.