Bildverarbeitung

Mit Reverse Engineering Ersatzteile für Oldtimer herstellen

Wenn es keine Konstruktionspläne mehr gibt, ist Reverse Engineering oft die letzte Rettung für Klassiker

21.05.2014 -

Bei Oldtimern entscheidet die Verfügbarkeit von Ersatzteilen über Stillstand oder freie Fahrt. Durch Reverse Engineering lassen sich Bauteile auch ohne vorhandene Konstruktionsdaten schnell und exakt nachbauen. Dabei hilft die optimierte Kombination aus Software und Digitalisiersystem.

Nicht Rundenzeiten stehen im Mittelpunkt von Oldtimer-Rennen, der eigentliche Gegner ist die Vergänglichkeit. Statt die geschätzten Vehikel zu konservieren, dreht man aber lieber am Rad der Zeit und fertigt neu, was zu Bruch geht. Stichwort: Reverse Engineering. Reverse Engineering oder Flächenrückführung bezeichnet einen umgekehrten Konstruktionsprozess. Nicht eine Idee oder ein Prototyp steht am Beginn, sondern ein bereits existierendes Teil.
Das kleine Münchner Rennteam Project Lucky Racing um Dirk Schumann fährt einen Alfa Romeo Montreal Gruppe IV, Baujahr 1971. In Kombination mit einem drei Liter Motor V8 von Autodelta war der Wagen seit 1973 im Renneinsatz. Aktuell ist er der einzig fahrende seiner Art mit FIA HTP (Historic Technical Passport) und europaweit auf Rennstrecken unterwegs. Ersatzteile sind schwer zu beschaffen, Konstruktionsdaten existieren nicht mehr. Während einer Generalüberholung vor zwei Jahren war klar, dieser Motor braucht ein Back-up. Dirk Schumann entschloss sich daher, Rücker Testing Services für die Anfertigung von Ersatzteilen zu beauftragen.
Die Aufgabenstellung: Von fünf Teilen, darunter eine Ansaugbrücke und ein Flachschiebergehäuse, soll Rücker CAD-Modelle erstellen, die man bei Bedarf nachproduzieren kann. Bei der Umsetzung greift das Unternehmen auf bewährte Technik zurück, die es auch in der Qualitätskontrolle verwendet. Die Daten werden mit einem Faro Edge ScanArm ES erhoben und mit der Software PolyWorks bearbeitet und interpretiert.

Scannen, polygonisieren, vernetzen 

Zuerst werden die Bauteile mit dem Laser Scanner optisch erfasst und digitalisiert. In PolyWorks ergibt das eine Ansammlung einzelner unverbundener Datenpunkte, eine Punktwolke.
Durch Polygonisierung erstellt das Programm aus der Punktwolke Dreiecksflächen. Bei glatten Oberflächen reichen einige wenige große Dreiecke aus. Starke Krümmungen, Radien oder Bereiche mit hohem Detailgrad sind durch viele kleine Dreiecke zu beschreiben. Dieser Prozess der Gewinnung von Oberflächendaten nennt sich auch Vernetzung.
Die Software bietet eine Reihe an Optionen, die erzeugten Polygonmodelle zu bearbeiten. Das betrifft Bereiche, die der Scan nicht erfassen kann: Hinterschnitte eines Bauteils verdecken die „Sicht" des optischen Digitalisiersystems. Diese Löcher lassen sich leicht schließen. Eine Glättung der polygonalen Struktur reduziert die Datenmenge und beseitigt fehlerhafte Daten. Auch lassen sich Regelgeometrien wie Kreise oder scharfe Kanten in das Polygonmodell einfügen.

Von der Kurve zur Fläche

Der nächste Schritt wandelt das Polygonmodell in NURBS-Flächen um. NURBS sind parametrisch beschreibbare Flächen, die ein CAD-System für die Konstruktion verwendet.
Für NURBS-Flächen bilden Kurven die Basis, die aus dem Polygonmodell abgeleitet werden. Die Kurven orientieren sich in ihrem Verlauf an Kanten, Löchern, Vertiefungen und Radien des Bauteils. Zwischen ihren Schnittpunkten werden dann NURBS-Flächen eingefügt.
Um vorerst Kurven zu erstellen, gibt es in PolyWorks verschiedene automatische und halbautomatische Erzeugungsmethoden. Auch lassen sich über vertikale und horizontale Schnitte einfach Flächen definieren.
Die Herausforderung liegt auch in der Wahl der richtigen Methode: Für einige Bauteile hat sich die Erzeugung von NURBS-Flächen durch Schnitte als beste Möglichkeit erwiesen. Schnitte lassen sich in definierbaren Abständen setzen und als Kurven exportieren. Diese Methode ist extrem schnell. In verwinkelten Bereichen oder auf Kanten von Bohrungen erfordert aber auch diese Methode einige manuelle Nachbearbeitungen. Je nach Datenqualität und Komplexität des Bauteils bringen händisch gezogene Linien für einzelne Abschnitte oft die besten Ergebnisse.

Von NURBS zu CAD

Für die Analyse der NURBS-Flächen bietet das Programm verschiedene Tools und Visualisierungen. Fitting-Fehler, Abweichungen gegenüber dem Polygonmodell oder Stetigkeiten der einzelnen NURBS-Patches lassen sich in Falschfarben-Darstellungen zuverlässig beurteilen.
Bohrungen sind wegen ihrer Tiefe durch optische Scans allein nicht ausreichend zu erfassen. Hier werden die optischen Daten durch taktile Messungen ergänzt. Dabei hilft die Funktion „Löcher stanzen". Nimmt man den Kreismittelpunkt mit dem Taster auf, lässt sich eine Regelgeometrie bereits in das Polygonmodell oder in das aus den NURBS-Flächen erzeugte CAD einarbeiten.

Vom CAD auf die Rennstrecke

Mit einem CAD-Datensatz gäbe es verschiedene Möglichkeiten, an ein reales Teil zu kommen. „Man könnte es sich einfach machen und die Teile aus dem Vollen fräsen. Aber wer solche Autos fährt, will die originale Optik! Die habe ich nur, wenn ich es mit Sandguss mache", stellt Dirk Schumann klar. Diese Fertigung erfordert weitere Bearbeitungsschritte. Im Guss sind nicht alle Details des Bauteils darstellbar. Kleinere Bohrungen und einige längliche Hinterschnitte sind im CAD geschlossen und mit zusätzlichem Material überhöht. Sie erhalten erst durch eine Fräsnachbearbeitung ihre eigentliche Beschaffenheit. PolyWorks bedient die CAD-Formate .iges oder .step und ermöglicht somit die Nachbearbeitung in allen gängigen Konstruktionsprogrammen wie CATIA V5, Pro/E, SolidWorks usw.
Bis jetzt ruhen die CADs der Motorkomponenten in der Schublade. Der Motor läuft - ohne Zwischenfälle. Dirk Schumann will aber nicht auf den Ernstfall warten und hat schon jetzt einige Teile gießen lassen. Andere Fahrer haben bereits Interesse gezeigt.

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