Flexibel und komplex
Das Bildungs-, Ausbildungs- und Weiterbildungsangebot für Ingenieure
Industrielle Bildverarbeitung ist ein innovatives Feld. Die besten Innovationen sind jedoch nutzlos, wenn die qualifizierten Menschen fehlen, die sie in Problemlösungen und Produkte umsetzen können. Dafür benötigen wir Ingenieure.
In den nächsten Ausgaben der INSPECT entwerfen wir eine Landkarte der deutschen Bildungs- und Forschungslandschaft: Wo können sich Ingenieure und Wissenschaftler die erforderlichen Fachkenntnisse für das Spezialgebiet Bildverarbeitung in Studium, Ausbildung oder Weiterbildung aneignen? Welche Bedeutung haben die gestuften Studienabschlüsse Bachelor und Master? Gibt es überhaupt noch Unterschiede zwischen Universitäten und Fachhochschulen? Und wo wird geforscht, entwickelt, getüftelt? Diese Landschaft ist heute wesentlich komplexer als vor 25 Jahren, als die Entwicklung der industriellen Bildverarbeitung begann. Entscheidungsträger in Unternehmen, die Personal einstellen oder Kooperationen mit Hochschulen und Forschungsinstituten suchen, aber auch Mitarbeiter, die sich weiterqualifizieren wollen, müssen die veränderte Landschaft verstehen und sich in ihr orientieren können. Dazu wollen wir mit dieser Artikelserie beitragen. Wir beginnen, indem wir uns in das Unterholz der Hochschulabschlüsse, Hochschultypen und Studienformen begeben.
Das Ziel
Bildverarbeitungsfirmen haben einen überproportional hohen Akademikeranteil in der Belegschaft, verglichen mit dem gesamten produzierenden Gewerbe. Welche akademische Disziplin ist für eine Tätigkeit in der Bildverarbeitungsindustrie am besten geeignet? Aktuell sind Physiker, Mathematiker, Informatiker, Elektrotechniker und Maschinenbauer in der Branche anzutreffen. Bildverarbeitung spielte noch vor wenigen Jahren im Themenspektrum dieser Studiengänge in der Regel keine Rolle. Das hat sich mittlerweile geändert: Es gibt spezielle Studiengänge, die vom ersten Semester an den Bereich der optischen Technologien adressieren. In manchen Disziplinen gibt es Bildverarbeitung, Optik oder Lasertechnik als Vertiefungsrichtung. Und die Automatisierungstechniker erkennen mittlerweile, dass Bildverarbeitung zu einem wesentlichen Bestandteil ihres Faches wird und nehmen entsprechende Veranstaltungen in das Studienprogramm auf. Mit der Entwicklung der Bildverarbeitung zu einer ausgereiften Technologie wird das Feld nun mehr und mehr von Ingenieuren dominiert. Inzwischen kann man Bildverarbeitung an deutschen Hochschulen studieren, und in einigen Jahren wird „Machine Vision" vielleicht als eigenständige Ingenieurdisziplin wahrgenommen. Die nächstliegenden klassischen Ingenieurfächer sind Mechatronik und Automatisierungstechnik.
Der Weg zum akademischen Grad
Wer vor 20 Jahren in Deutschland einen akademischen Grad erlangen wollte, wusste genau, was zu tun war: ein Vollzeit-Studium an einer staatlichen Hochschule war der gängige Weg zu diesem Ziel. Nach vier Jahren Studium an einer Fachhochschule oder fünf und mehr Jahren an einer Universität hatte man den akademischen Grad „Diplom" in der Tasche. Ein Diplom-Ingenieur von einer Universität wurde als stärker forschungsorientiert eingeschätzt, manche waren zudem promoviert. Die FH-Ingenieure galten als stärker anwendungsorientiert und praxisnah ausgebildet. Für beide Qualifikationen gab es in der Industrie enormen Bedarf, und mit den Jahren spielte es in vielen Industriezweigen kaum noch eine Rolle, aus welchem Hochschultyp der Ingenieur hervorgegangen war.
Begriffsverwirrung
Wer meint, das sei heute im Wesentlichen immer noch so, hat zwei wichtige Trends der letzten 20 Jahre ignoriert. Der erste Trend ist die Umstellung der Studienprogramme auf ein modularisiertes System, das sich an der Arbeitsbelastung der Studierenden orientiert. Es ist vordergründig an der Abschaffung des Diplomgrades und der Einführung von Bachelor- und Master-Abschlüssen zu erkennen. Der zweite Trend ist die Akademisierung der Berufsausbildung, die sich in den dualen Studienangeboten der Berufsakademien manifestiert und ebenfalls zu einem Bachelor-Abschluss führt. Begleitet wurde diese Entwicklung durch die zunehmende Begriffsverwirrung bei der Bezeichnung der Institutionen, die diese Abschlussbezeichnung vergeben. Viele, aber nicht alle Fachhochschulen haben das „Fach" in ihrem Namen abgelegt und firmieren nun unter „Hochschule", ergänzt durch die englischsprachige Bezeichnung „University of Applied Sciences". Beispielsweise bezeichnet sich die Fachhochschule Darmstadt seit einigen Jahren als „Hochschule Darmstadt". Die Berufsakademie Mannheim heißt seit einiger Zeit „Duale Hochschule", und die
Wilhelm Büchner Hochschule in Darmstadt ist eine vom Land Hessen anerkannte, jedoch private Fernhochschule (früher Fernfachhochschule Darmstadt). An allen drei Institutionen kann man z.B. Maschinenbau studieren und mit einem Bachelor-Grad abschließen, genauso wie an der Technischen Universität Darmstadt. Selbstverständlich unterscheiden sich die Studienangebote dieser vier Hochschulen, und es ist naiv anzunehmen, dass die Bachelor-Ingenieure, die aus ihnen hervorgehen, sämtlich die gleichen Qualifikationen haben, nur weil sie sämtlich einen Abschluss im Maschinenbau mit der Bezeichnung „Bachelor" vorweisen können. Die Hochschullandschaft ist also vielfältiger geworden, und die Vereinheitlichung der Abschlussbezeichnungen ist lediglich der mehr oder weniger gelungene Versuch, eine Orientierungshilfe zu geben. Größere Vielfalt macht Entscheidungen zwar anstrengender, ist aber eine positive Entwicklung. Wenn Sie heute in einen Supermarkt gehen und Kartoffelchips kaufen wollen, stehen Sie vor einem ähnlichen Problem: ein riesiges Regal mit mehreren Dutzend verschiedenen Varianten. Darüber sind Sie aber hoffentlich nicht unglücklich - Sie können aussuchen, ob sie die low-fat- oder die nahrhafte Variante wählen, mit Meersalz oder mit Pfeffer gewürzt, vielleicht sogar fair gehandelt oder schlicht soviel wie möglich für ihr Geld. Oder möchten Sie wirklich lieber, dass es nur eine einzige Sorte im Angebot gibt? Aber Vorsicht: Kartoffelchips sind keine Bratkartoffeln, und ein moderner Bachelor-Ingenieur ist kein traditioneller Diplom-Ingenieur.
Staatliche Hochschulen
An staatlichen Universitäten und Fachhochschulen sind heute durchgängig die Abschlüsse „Bachelor" und, darauf aufbauend, „Master" etabliert. Die zugehörigen Studiengänge müssen einer Reihe von staatlichen, in allen Bundesländern gleichen Vorgaben genügen. Ein Bachelor-Studiengang muss „berufsqualifizierend" sein, und zwar sowohl an Fachhochschulen als auch an Universitäten. Ein Studienprogramm muss sich also an einem Berufsfeld orientieren und darf nicht nur die Strukturen eines Wissenschaftsgebiets aufnehmen. Während die Fachhochschulen dieses Konzept schon immer verfolgt haben und daher mit dieser Anforderung problemlos umgehen können, wurde das Selbstbild vieler Fachbereiche an Universitäten dadurch massiv erschüttert. Die Umsetzung war und ist daher schwierig, und in manchen Studienprogrammen wird der Bachelor-Abschluss immer noch, ähnlich wie früher das Vordiplom, lediglich als eine Vorstufe zum Master-Studiengang gesehen. Das zweite revolutionäre Element der neuen Studienstruktur war die Orientierung an der Arbeitsbelastung („work load") der Studierenden. Ein Vollzeitstudium wird so ausgelegt, dass die Studierenden pro Semester eine Arbeitsbelastung von 750 bis 900 Stunden abarbeiten, und zwar in der Summe von Vorlesungszeit und vorlesungsfreier Zeit. Das entspricht 32 bis 39 Stunden pro Woche bei 46 Wochen im Jahr. Studieren ist also ein Full-Time-Job mit sechs Wochen Urlaub im Jahr, die Semesterferien sind abgeschafft! Bei der Abschätzung der Arbeitsbelastung werden allerdings Präsenzzeiten, z.B. in Vorlesungen und Laboren, und die Zeiten für das Selbststudium, also die Prüfungsvorbereitungen, Nachbereitung von Vorlesungen und die tiefgehende weiterführende Beschäftigung mit dem Studienmaterial in der vorlesungsfreien Zeit, zusammengerechnet. Die Maßeinheit sind die sog. „credit points" (cp), oft fälschlich als „Kreditpunkte" ins Deutsche übersetzt. Treffender wäre „Anrechnungspunkte", besser ist der mittlerweile gebräuchliche Terminus „Leistungspunkte" (LP). Ein cp entspricht einem „work load" von 25 bis maximal 30 Stunden. Pro Semester können daher 30 cp vergeben werden. Inhaltlich muss das Studium in sog. Modulen strukturiert sein, d.h. mehrere thematisch verwandte Veranstaltungen eines Semesters oder auch eines Studienjahres werden zusammengebunden und mit einer Prüfung abgeschlossen. Mit der bestandenen Prüfung werden die im Studienprogramm zugeordneten Leistungspunkte gutgeschrieben - Noten gibt es natürlich immer noch. Auch mit dieser konsequenten Strukturierung der Studienprogramme hatten die Fachhochschulen nur wenige Probleme, während manche Universitäten die Freiheit des Studierens gefährdet sahen. In der breiten Öffentlichkeit wurde und wird dieses Konzept oft als „Verschulung des Studiums" verunglimpft.
In regelmäßigen Abständen von einigen Jahren überprüft eine Akkreditierungsagentur, ob ein Studiengang den Strukturvorgaben entspricht und in der Regelstudienzeit studierbar ist. Dabei muss auch eine genaue Beschreibung der Lernziele und Lehrinhalte aller Module eines Studiengangs vorgelegt werden, das sog. Modulhandbuch. Die meisten Fachbereiche veröffentlichen die Modulhandbücher ihrer Studiengänge auf ihren Internetseiten und weisen auf die Akkreditierung hin. Die Akkreditierung ähnelt den Zertifizierungen von Qualitätssicherungssystemen in der Industrie. Für Außenstehende, gleichgültig ob für Studieninteressierte oder für Unternehmen, die Absolventen einstellen, bietet die Akkreditierung die Gewähr, dass Mindestvorgaben eingehalten werden und unabhängige Gutachter das Studienprogramm regelmäßig überprüfen. Die Modulhandbücher sind eine sehr gute Möglichkeit, Informationen über die Struktur des Studiums und über Lehrinhalte zu bekommen. Und das Leistungspunkte-System ermöglicht es, die Gewichtung verschiedener Teilbereiche eines Studienfachs objektiv zu beurteilen. Die Umstellung auf Bachelor- und Master-Studiengänge hat daher zu wesentlich verbesserter Transparenz der Studienprogramme geführt.
Studiendauer und Abschlüsse
Die länderübergreifenden Vorgaben erlauben für Bachelor-Studiengänge eine Regelstudienzeit von sechs, sieben oder acht Semestern. Ingenieurfächer sind meist auf sechs oder sieben Semester ausgelegt. Wer nun auf einheitliche Regelungen in jeder Fachdisziplin hofft, wird enttäuscht. Beispielsweise kann man im Fach Maschinenbau den Bachelor-Abschluss an der TU Darmstadt nach 6 Semestern, an der Hochschule Darmstadt ebenfalls nach 6 Semestern, an der Hochschule Rhein-Main hingegen erst nach 7 Semestern, an der Technischen Hochschule Mittelhessen nach 7 Semestern, an der FH Frankfurt jedoch schon nach 6 Semestern erwerben - sämtlich staatliche Hochschulen des Landes Hessen. Pro Semester werden allerdings durchgängig 30 Leistungspunkte gutgeschrieben. Es gibt also Maschinenbau-Ingenieure, die weniger Zeit auf ihr Studium verwenden mussten als andere, aber hochschulrechtlich gleichwertige Bachelor-Abschlüsse vorweisen können.
Allerdings gibt es für Ingenieure zwei unterschiedliche Bachelor-Grade: den Bachelor of Science (B. Sc.) und den Bachelor of Engineering (B. Eng.). Die Unterschiede sind subtil. Mit der Studiendauer hängen sie jedenfalls nicht zusammen: Die Hochschule Darmstadt, eine Fachhochschule, vergibt nach 6 Semestern den B. Sc., die Fachhochschule Frankfurt nach 6 Semestern den B. Eng.. Die Technische Hochschule Mittelhessen, eine Fachhochschule, vergibt nach 7 Semestern den B. Eng., die Hochschule Mannheim, eine Fachhochschule, nach 7 Semestern den B. Sc.. Und die TU Darmstadt, eine Universität, vergibt nach 6 Semestern den B. Sc..
Es gibt keine hochschulrechtlichen Unterschiede zwischen diesen Bachelor-Abschlüssen, gleichgültig ob sie von einer Universität oder von einer Fachhochschule vergeben werden. Sie berechtigen sämtlich grundsätzlich zu einem Masterstudiengang. Allerdings gibt es hier einige Komplikationen. Masterstudiengänge können eine Regelstudienzeit von 2, 3 oder 4 Semestern haben. Für Ingenieurfächer sind drei oder vier Semester üblich. Der Masterabschluss darf aber nur vergeben werden, wenn für den individuellen Studenten am Ende mindestens 300 Leistungspunkte zusammenkommen, seine gesamte Regelstudienzeit aus Bachelor- und Master-Studium zusammen also mindestens 10 Semester beträgt. Wer einen Bachelor mit 180 cp, also 6 Semestern Regelstudienzeit mitbringt, kann folglich nicht ohne Weiteres einen Master-Studiengang mit 3 Semestern Regelstudienzeit absolvieren. Viele Hochschulen bieten im unmittelbaren Anschluss an einen Bachelor-Studiengang einen gleichnamigen oder fachverwandten Master-Studiengang mit abgestimmter Regelstudienzeit an, führen ihre Studenten also nach 7+3 oder nach 6+4 Semestern zum Masterabschluss. Solche Master-Studiengänge werden als konsekutiv bezeichnet. Sie können, müssen aber nicht unmittelbar nach einem Bachelor-Studiengang angeschlossen werden, im Unterschied zu den sog. weiterbildenden Master-Studiengängen, die eine Phase der Berufserfahrung von mindestens einem Jahr zwischen Bachelor-Abschluss und Beginn des Master-Studiengangs erfordern. Bachelor- und Masterstudiengang können an verschiedenen Hochschulen und auch an unterschiedlichen Hochschularten studiert werden. In diesem gestuften Studiensystem ist der Bachelor-Abschluss der Regelabschluss, und zwar unabhängig von der Hochschulart. De facto bieten Universitäten jedoch durchgängig für ihre Bachelor-Absolventen auch einen konsekutiven Masterstudiengang an. Manche Fachhochschulen haben sich dieser Strategie angeschlossen, wenn auch nicht unbedingt in allen Fachbereichen. Jedem Bachelor-Absolventen steht jedoch grundsätzlich der Zugang zu einem weiterführenden Master-Studiengang seines Faches an einer Universität oder Fachhochschule offen. Die meisten Master-Studiengänge haben allerdings Zulassungsbeschränkungen, weil nicht genügend Studienplätze zur Verfügung stehen. Auch die Master-Abschlüsse gibt es in den beiden Varianten „Master of Science" (M. Sc.) und „Master of Engineering" (M. Eng.), sowohl an Universitäten als auch an Fachhochschulen. Sie berechtigen sämtlich grundsätzlich zur Promotion.
Universitäten und Fachhochschulen
Die Einführung von Bachelor- und Masterstudiengängen mit verbindlichen Strukturvorgaben und deren Überwachung im Wege der Akkreditierung hat also dazu geführt, dass sich die Studienprogramme von Universitäten und Fachhochschulen im Ingenieurbereich gar nicht mehr deutlich unterscheiden, und die vergebenen Abschlüsse sind in jeder Hinsicht gleichgestellt. Wenn man außerdem bedenkt, dass in beiden Hochschularten für den Master-Abschluss eine Regelstudienzeit von 10 Semestern erforderlich ist, wird deutlich, dass das klassische Ingenieur-Diplom von einer Universität durch den Master-Abschluss abgelöst worden ist. Das FH-Diplom, früher nach 8 Semestern Regelstudienzeit erreicht, ist verschwunden, und in beiden Hochschularten ist ein neuartiger berufsqualifizierender Abschluss entstanden, der Bachelor, der weder dem bisherigen Universitäts-Diplom noch dem bisherigen FH-Diplom noch dem bisherigen Vordiplom entspricht. Es ist mittlerweile erwiesen, dass ein Bachelor-Abschluss von manchen Hochschulen und in manchen Disziplinen „marktfähig" ist, d.h. es gibt angemessene Beschäftigungsverhältnisse für diese Absolventen. Mit dem Diplom ist übrigens auch die Diplomarbeit verschwunden, für viele Unternehmen eine schockierende Erkenntnis. Sie wurde auch nicht einfach durch die Bachelor-Arbeit ersetzt, denn diese darf nur einen Umfang von maximal 12 cp haben, entsprechend einem Arbeitsaufwand von weniger als einem halben Semester, und soll studienbegleitend, d.h. parallel zu anderen Lehrveranstaltungen, angefertigt werden. Diese verbindliche Vorgabe hat viele Fachhochschulen vor große Probleme gestellt. Oft, aber nicht immer wird daher die Bachelor-Arbeit mit einer Praxis-Phase verbunden, die in vielen Bachelor-Studiengängen an Fachhochschulen enthalten ist. Bei sieben Semestern Regelstudienzeit umfasst die Praxisphase oft ein volles Semester in einem Unternehmen, so dass wieder Bearbeitungszeiten entsprechend der traditionellen Diplomarbeit möglich sind. Alternativ kann die Bachelor-Arbeit mit einer Tätigkeit im Unternehmen in der vorlesungsfreien Zeit kombiniert werden.
Die Annäherung der beiden Hochschularten bezüglich ihrer Studienprogramme und die Gleichstellung der Abschlussgrade sollte aber nicht zu der Annahme verleiten, es gebe keine Unterschiede zwischen Universitäten und Fachhochschulen mehr. An Universitäten gibt es nach wie vor große Gruppen in Vorlesungen, während an Fachhochschulen der seminaristische Stil gepflegt wird und die Betreuungsrelation (Zahl der Studenten pro Professor) besser ist. Dementsprechend ist der Anteil der Professoren unter den Beschäftigten an den Fachhochschulen deutlich höher als an den Universitäten. Allerdings ist die Regellehrverpflichtung eines Professors an einer Fachhochschule deutlich höher als für einen Universitätsprofessor, d.h. ein FH-Professor arbeitet im Wesentlichen in der Lehre im direkten Kontakt mit Studenten und hat weniger Zeit für Forschung als sein Universitätskollege. Außerdem sind die Studiengänge an Fachhochschulen nach wie vor eng an die Berufspraxis angelehnt und gelten als stärker anwendungsbezogen, unter anderem auch wegen der einschlägigen Berufserfahrung der Professoren, die dort Berufungsvoraussetzung ist. Fachhochschulen sind meist stärker mit der regionalen mittelständischen Wirtschaft verzahnt. FH-Professoren betreuen ihre Studenten bei Abschlussarbeiten, die überwiegend in Unternehmen durchgeführt werden, während Universitätsprofessoren sich mehr auf die Forschung konzentrieren und Abschlussarbeiten vorwiegend in ihren Arbeitskreisen anfertigen lassen. Dementsprechend haben Universitäten meist eine bessere Ausstattung als Fachhochschulen, und die Länder wenden pro Student an einer Universität deutlich höhere Beträge bei der Mittelzuweisung auf als für FH-Studenten. Dennoch kann man auch in puncto Forschung eine Durchmischung der beiden Hochschulformen beobachten. Es gibt sehr forschungsstarke Bereiche mit erheblichem Drittmittelzufluss an manchen Fachhochschulen, insbesondere im Zusammenhang mit anspruchsvollen Master-Studiengängen, und es gibt stark anwendungsorientierte Bereiche mit ausgeprägten Praxiskontakten an manchen Universitäten. Promotionsverfahren sind jedoch - bis jetzt - den Universitäten vorbehalten. Fachhochschulen dürfen zwar Master-Abschlüsse vergeben, die grundsätzlich zur Promotion berechtigen, aber sie dürfen selbst keinen Doktorgrad vergeben. Mittlerweile gibt es jedoch eine erkleckliche Anzahl von FH-Master-Absolventen, die erfolgreich ein Promotionsverfahren an einer deutschen Universität absolviert haben, und mancher Universitätsprofessor hat deren spezifische Vorzüge schätzen gelernt. Für exzellente Studenten mit einer Affinität zur Forschung ist es letztlich gleichgültig, auf welchem Weg sie zum Master of Science gelangt sind.
Im Ingenieurbereich gibt es auf dem Weg zum Master-Abschluss summa summarum nur unwesentliche Unterschiede zwischen Universitäten und Fachhochschulen. Wer sich in kleineren Gruppen wohler fühlt und einen stärkeren Anwendungsbezug bevorzugt, wird sich vielleicht für eine Fachhochschule entscheiden, wer eine Karriere in der Forschung anstrebt, geht vielleicht an eine Universität. In jedem Fall kann man nach dem Bachelor noch die Pferde wechseln, und der Weg zur Promotion steht in beiden Fällen offen. Wer allerdings unmittelbar nach dem Bachelor-Abschluss in den Beruf möchte, ist vermutlich mit einem Fachhochschulstudium besser bedient. Und wer es sich später noch anders überlegt, kann nach einigen Jahren Berufserfahrung wieder zurück an die Hochschule gehen und den Master-Abschluss in höchstens zwei Jahren Vollzeitstudium ergänzen. Insgesamt eröffnet das gestufte Bachelor-Master-Studiensystem allen Beteiligten mehr Möglichkeiten und mehr Flexibilität, stellt also eine positive Weiterentwicklung der Hochschulbildung dar.
Duale Hochschulen, Berufsakademien und Fernstudiengänge
Ein weiterer Weg zum akademischen Grad, der erst in den letzten Jahren vollständig etabliert worden ist, setzt auf die Akademisierung der Berufsausbildung. Wie bei den klassischen Auszubildenden können Unternehmen junge Leute mit Hochschulzugangsberechtigung in einem Ausbildungsverhältnis einstellen und in einem Ausbildungsgang, der sich aus Praxisphasen und Unterricht zusammensetzt, zum Abschluss Bachelor führen. Die Unterrichtsphase wird in einer Berufsakademie absolviert. Man spricht dann von einem dualen Studium. Es gibt sowohl staatliche als auch private, staatlich anerkannte Berufsakademien. Bis vor wenigen Jahren durften diese Institutionen lediglich die staatliche Abschlussbezeichnung Bachelor verleihen. Seit 2009 sind die Berufsakademien in Baden-Württemberg in der Dualen Hochschule zusammengefasst und vergeben für akkreditierte Studiengänge den akademischen Grad Bachelor. Diese Entwicklung wird sich in anderen Bundesländern fortsetzen. Auch die akkreditierten Bachelor-Programme der Berufsakademien unterliegen den länderübergreifenden Strukturvorgaben und der Überwachung per Akkreditierung. Ein wesentlicher Unterschied zu den Studiengängen an staatlichen Hochschulen ist der hohe Anteil an praktischen Ausbildungselementen. Bis zu 50% der Tätigkeit in einem Unternehmen können bei einem dualen Studienprogramm als Studienleistung angerechnet werden. Wahlweise führt diese Besonderheit zu enthusiastischem Lob wegen der ausgeprägten Praxisanbindung oder zu Abscheu über die mangelnde Breite und die fehlende theoretische Unterfütterung dieses Ausbildungsgangs. Die Einflussnahme der Unternehmen ist bei diesem dualen Modell unübersehbar. Sie äußert sich bereits darin, dass die Unternehmen die Kandidaten für das duale Studienprogramm auswählen und in ein Vertragsverhältnis mit Vergütung übernehmen, während Studierende an einer staatlichen Hochschule einen Rechtsanspruch auf einen Studienplatz haben, wenn sie die Zugangsberechtigung vorweisen können und freie Studienplätze vorhanden sind. Die dualen Hochschulen vergeben jedoch einen akademischen Bachelor-Grad, der in jeder Hinsicht einem Bachelor-Abschluss von einer Universität oder Fachhochschule gleichgestellt ist. In mehreren Bundesländern gibt es andere Varianten dieser Idee des berufsintegrierten Studiums. Manche Hochschulen bieten berufsbegleitende Studienprogramme in Zusammenarbeit mit Unternehmen an, sog. kooperative Studiengänge, andere übernehmen direkt die Funktion der Berufsakademien zusätzlich zu ihren konventionellen Studienangeboten. Duale Studienformen sind auch gut als Weiterbildung für Mitarbeiter geeignet, die schon einige Jahre im Beruf stehen. Sie bieten meist verschiedene Studienzeitmodelle an und können gut an die Erfordernisse verschiedener Arbeitsverhältnisse angepasst werden. Noch flexibler sind in dieser Hinsicht Fernstudiengänge, die meist nur wenige, sehr kurze Präsenzphasen erfordern. Manche Hochschulen und auch private Träger bieten Fernstudiengänge an, deren Abschlüsse den akademischen Master-Graden der anderen Hochschulen gleichgestellt sind. Insgesamt eröffnen diese dualen Ausbildungsangebote und die vielfältigen Weiterbildungsstudiengänge zusätzliche Wege zum akademischen Grad, die je nach individueller Lebenssituation für die Studierenden attraktiv sein können und den Unternehmen zusätzliche Potentiale für Fachkräfte im Ingenieurbereich bieten, sowohl in der Aus- als auch in der Weiterbildung.
Fazit
Auf den ersten Blick erscheint die Hochschullandschaft mittlerweile sehr kleinteilig und unübersichtlich. Wer sich in diesem Terrain sicher bewegen will, muss sich ausführlicher informieren als vor 25 Jahren und bereit sein, auf liebgewordene Orientierungspunkte zu verzichten. Nach wie vor bringt das deutsche Hochschulsystem hervorragend ausgebildete Ingenieure hervor und zeichnet sich gegenüber anderen Ländern durch eine hohe Qualität in der Breite aus. Die zusätzlichen Wege zum akademischen Grad, die sich in den letzten Jahrzehnten herausgebildet haben, sollten wir nicht als Ärgernis, sondern als Bereicherung empfinden. Allerdings ist mit der Vielfalt ein erhöhter Aufwand verbunden, denn alle Beteiligten müssen sich intensiv informieren. Der akademische Grad allein ist keine geeignete Grundlage für eine Entscheidung. In Zukunft wird es immer wichtiger werden, an welcher Hochschule, in welchem Studiengang, in welcher Organisationsform und unter welchen Studienbedingungen ein Abschluss erworben wurde. Für Unternehmen ist es daher eine gute Strategie, direkte Kontakte zu geeigneten Studienprogrammen aufzubauen und auf diese Weise Zugriff auf potentielle Fachkräfte und verwertbare Forschungsergebnisse zu bekommen.
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