Schnelle Fokussierung ohne mechanische Bewegung
Varifokale Linsen
ei der Taglens (Tunable Acoustic Gradient Index Lens) genannten varifokalen Linse von Mitutoyo handelt es sich um eine spezielle Form einer Gradientenlinse, welche ihre optischen Eigenschaften nicht durch gewölbte Oberflächen, sondern durch einen zu ihrem Zentrum hin kontinuierlich ansteigenden (Sammellinse) oder abfallenden (Zerstreuungslinse) Brechungsindex erhält. Dabei wird eine räumliche und zeitliche Variation des Brechungsindex durch eine akustische Welle in ihrem Inneren erzeugt.
Das optische Material der Linse besteht dabei nicht aus Glas, sondern aus einer Flüssigkeit auf Silikonbasis, in der durch einen umliegenden Piezo-Ring eine stehende Welle ausgebildet wird. Diese sorgt für eine Dichteverteilung und somit einen radialen, dynamischen Gradienten des Brechungsindex‘ innerhalb der Flüssigkeit. Dabei beschreibt die Verteilung des Brechungsindex im Zentrum der Linse eine Besselfunktion, wodurch die Taglens die optimalen optischen Eigenschaften einer asphärischen Linse hat.
Das Silikonöl muss für den Einsatz in der Linse verschiedene Kriterien erfüllen. Neben besonderen Eigenschaften hinsichtlich der Manipulation des Brechungsindex durch eine akustische Welle muss es auch eine geringe Absorption in einem möglichst breiten Wellenlängenbereich aufweisen. Hier gibt es neben dem Standardsilikon, welches für den sichtbaren Bereich optimiert ist, auch schon Entwicklungen hin zu Varianten, die im nahinfraroten Spektrum transparent sind, um die Linsen in einem größeren Anwendungsgebiet nutzen zu können.
Fokusverschiebung in 7 µs
Die stehende Welle in der Linse oszilliert mit einer hohen Frequenz von 70 kHz. Somit ist die Taglens eine Gradientenlinse, deren Brennweite innerhalb von ca. 7 µs zwischen ihrem positiven und negativen Maximalwert oszilliert. Integriert in ein optisches System führt dies zu einem sich ultra-schnell verschiebenden Fokuspunkt.
Anwendungen der Gradientenlinse
Die Taglens lässt sich nun in optische Aufbauten einbinden. Die Bandbreite reicht vom Beobachten kleiner Details in Mikroskopaufbauten über Systeme für die Inline-Kontrolle in der Serienfertigung bis hin zu Laseranwendungen. Durch die Variation der Fokuslänge des optischen Systems und die im Verhältnis zur Taglens-Oszillation etwa 1.000-mal längere Integrationszeit einer Kamera werden Informationen aus verschiedenen Entfernungen in einem Bild erfasst. Mit der Edof-Funktion (Extended Depth of Field) können diese Daten ausgewertet und durch die Anwendung eines speziellen Algorithmus kontrastreiche Bilder mit erweiterter Schärfentiefe erzeugt werden. Durch die hohe Frequenz der Taglens werden die EDOF-Bilder schnell erfasst.
In Verbindung mit der Videomikroskopeinheit VMU-T1 von Mitutoyo wird die Schärfentiefe so, im Vergleich zu einem entsprechenden optischen Aufbau ohne Taglens, um das bis zu 22-fache erweitert. Dies hat zahlreiche Vorteile: So lassen sich auch Objekte mit gekrümmten Oberflächen in Gänze scharf abbilden und die Justage und Fokussierung, gerade bei sehr hohen Vergrößerungen, wird viel einfacher. Außerdem können verschieden hohe Bauteile unter anderem in der Elektronikindustrie nun auf einem Bild und ohne Nachfokussierung erfasst werden.
Mikroskop an einem Roboter
Der erweiterte Schärfentiefenbereich ermöglicht die Integration einer Mikroskopeinheit für Inspektionsaufgaben in ein Robotersystem, wie es in dem Projekt Robotag realisiert wurde. Wegen der begrenzten Positioniergenauigkeit aktueller Roboter ist ein Autofokus in optischen Systemen ab einer gewissen Vergrößerung unabdingbar. Mit der Taglens und der Edof-Funktion entfällt die Fokussierung, was die Programmierung des Roboters vereinfacht sowie eine stark verkürzte Positionier- und Fokussierzeit und somit einen vergrößerten Durchsatz ermöglicht.
Durch die Ergänzung der Taglens mit der Pulsed Light Source (PLS) von Mitutoyo, einer mit der Linse synchronisierten, schnell-gepulsten Lichtquelle, steigt der Funktionsumfang der Linse nochmal deutlich: So ist es unter anderem möglich, die Bilderfassung auf einzelne Bereiche (Phasen) während einer Oszillation des Brechungsindex zu beschränken und auf eine bestimmte Ebene zu fokussieren. Des Weiteren ist es durch die Belichtung zu verschiedenen Phasen während einer Integrationszeit der Digitalkamera auch möglich, mehrere Ebenen gleichzeitig in einem Bild scharf abzubilden.
Bilder mit großer Schärfentiefe durch Focus-Stacking
Die schnelle Aufnahme mehrerer Bilder mit verschiedenen Fokuspositionen hintereinander ermöglicht es, Bilder mit großer Schärfentiefe durch nachträgliches Focus-Stacking zu erzeugen. Bei diesem Verfahren erfasst ein Algorithmus aus den aufgenommenen Bildern die Bereiche mit dem jeweils höchsten Kontrast und setzt diese zu einem gesamtscharfen Bild zusammen. Durch die hohe Geschwindigkeit der Taglens begrenzt nur die Bildfrequenz der Kamera die Erfassungszeit der Bilder.
Die Linse lässt sich nicht nur zum Erfassen von Bildinformationen, sondern insbesondere auch in Verbindung mit einem Laser zu Beleuchtungszwecken einsetzen. Durch die Eigenschaften der Linse kann ein Aufbau realisiert werden, in dem der Fokuspunkt des Lasers mit hoher Geschwindigkeit axial verschoben wird. Durch den Einsatz eines mit der Taglens synchronisierten gepulsten Lasers ist eine ultraschnelle axiale Positionierung des Fokuspunkts realisierbar.
Schneller Autofokus auch bei starker Belastung
Mithilfe einer neuen Funktion, bei welcher der Fokusabstand durch Anpassung der Phase der gepulsten Beleuchtung automatisch von Bild zu Bild verschoben wird, wurde ein sehr schneller Autofokus ohne den Einsatz mechanischer Bauteile verwirklicht. Diese Funktion ist überall dort von Vorteil, wo schnell fokussiert werden muss und mechanische Bauteile stark belastet werden würden oder schwer zugänglich sind.
Höhen absolut bestimmen
In Verbindung mit der VMU-T1 ist es nun möglich, Höhen absolut zu bestimmen. Dazu wird zunächst ein Muster benutzt, um das optische System zu kalibrieren und so akkurate Werte in der Z-Achse zu erhalten.
Ähnlich zu dem zuvor beschriebenen einfachen Focus-Stacking werden hierzu mehrere Bilder während bestimmter Phasen der Taglens aufgenommen. Durch die vorangegangene Kalibrierung des optischen Systems lässt sich nun jeder Phase eine Fokusposition zuordnen und durch ein anschließendes Focus-Stacking auswerten. Somit wird jedem Bildbereich eine Höhe zugeordnet. Die Höhenwerte können anschließend als Punktewolke ausgegeben und weiterverarbeitet werden.
Aufgrund der hohen Geschwindigkeit, mit der die Bilder mit verschiedenen Fokuspositionen aufgenommen werden, ist das Erfassen der 3D-Daten in sehr kurzer Zeit möglich. Dies ermöglicht es, 3D-Analysen auch in zeitsensitiven Anwendungen einzusetzen.
Mit der Taglens-Software werden SDKs (Software Development Kits) zur Verfügung gestellt. Damit können Anwender alle Funktionen in ihre eigene Software integrieren. Außerdem bieten diese SDKs eine hohe Anpassbarkeit. Somit kann das Layout und der Workflow entsprechend der Arbeitsumgebung konfiguriert werden.
Autor
Dr. Michael Köppinger, Produktmanager